Das folgende Interview habe ich am 27.3.2020 mit Prof. Dr. Harald Dormann per Telefon und E-Mail geführt.
Prof. Dr. Dormann ist Präsident der Deutschen Stiftung Akut- und Notfallmedizin, Chefarzt der Notaufnahme am Klinikum Fürth und der Initiator des Covidcare-Projekts, einem Online-Kalkulator zum schnellen und einfachen Abschätzen von regionalen Patientenzahlen für Kliniken durch die Covid-19-Pandemie.
Dirk Paessler: Herr Prof. Dr. Dormann, vielen Dank, dass Sie Zeit für dieses Interview einrichten konnten. Ich kann mir vorstellen, dass ihre Tage gerade sehr angefüllt sind, denn Ihre Notaufnahme am Klinikum Fürth ist der Alleinversorger für 250.000 Einwohner in Stadt und Landkreis Fürth. Wie ist aktuell die Lage bei Ihnen?
Harald Dormann: Auch wenn die Situation in Notaufnahme, den Stationen und insbesondere der Intensivstation noch ruhig ist, sind wir etwas besorgt über die nächsten Wochen, denn wir haben jetzt schon mehr Covid-19-Patienten im Haus als unsere Vorhersage mit der Covidcare-Berechnung erwarten läßt. Insbesondere aus dem Landkreis Fürth, der in der Region N/FÜ/ER aktuell das größte Wachstum der Fallzahlen hat, haben wir viele Covid-19-Patienten hereinbekommen.
Dirk Paessler: In den Daten des Robert Koch Instituts konnte man im Laufe der vergangenen Woche eine leichte Entspannung beim Wachstum der bestätigten Neuinfektionen pro Tag erkennen – was Prof. Drosten schon als Zeichen dafür wertet, dass die Maßnahmen der Regierung bereits Wirkung zeigen. Wie sehen Sie das in Fürth?
Harald Dormann: Eine Verlangsamung des Wachstums freut uns natürlich sehr. Aber in diesem Zusammenhang kann man gut erkennen, dass die deutschlandweiten Zahlen des RKI für unser Krankenhaus ungeeignet sind für die Planung. In unserem Versorgungsbereich hatten wir über die letzten 7 Tage ein tägliches Wachstum der Fallzahlen das höher liegt als auf bayerischer oder auf nationaler Ebene.
Dirk Paessler: Deswegen hatten Sie auch die Entwicklung von unserem covidcare.de Projekt initiiert, mit dem man auch auf Landkreis-Ebene Vorhersagen machen kann?
Harald Dormann: Ja, genau. Wir können nicht einfach die bundesweiten Zahlen auf unsere 250.000 Einwohner runterrechnen, wir müssen mit den Zahlen und dem Wachstum hier vor Ort in die Planung gehen – und diese Planung dann täglich aktualisieren.
Dirk Paessler: Mit Covidcare schätzen wir für das Klinikum Fürth die maximale Auslastung der Intensivpatienten ab mit etwa 40-80 Intensivbetten um den 22.4.2020 herum – Laut Website hat das Klinikum nur 32 Intensivbetten. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Harald Dormann: Wie in vielen anderen Krankenhäusern bereiten wir uns seit Wochen mit umfangreichen Maßnahmen vor, z.B. verschieben wir nicht-dringende Operationen. Außerdem haben wir schon vorletzte Woche im Krisenstab entschieden, dass wir eine zweite Intensivstation mit weiteren 30 Betten einrichten. Ein Werkzeug zum Abschätzen des Ansturms wie covidcare.de hilft uns, ein besseren Gefühl für die Größenordnungen des Ansturms zu bekommen. Uns muss aber allen klar sein, dass wir nicht in der Lage sein werden, den genauen Verlauf vorherzusagen. Sollte sich in unserem Einzugsbereich zum Beispiel ein sogenannter Hotspot entwickeln, an dem in sehr kurzer Zeit eine Vielzahl von Neuinfektionen entstehen, dann kann der Ansturm auch noch größer werden, worauf wir uns vorbereiten. Oder wir haben Glück und in unserem Einzugsbereich bleibt es relativ ruhig. Keiner weiß das.
Dirk Paessler: Können Sie uns noch etwas sagen über die medizinischen und klinischen Annahmen, die Sie bei der Entwicklung von Covidcare eingebracht haben? Wir müssen da einige Durchschnitts-Annahmen über Krankheitsverläufe machen.
Harald Dormann: Sie meinen solche Zahlen wie “Wieviele Prozent der Infizierten benötigen ein Intensivbett” und wenn, dann wie lange. Ich habe diese Zahlen nach der Lektüre der Berichte und Studien aus China und Italien zusammengestellt und im Dialog mit meinen Kollegen der Notfall- und Intensivmedizin bestmöglich auf die deutschen Verhältnisse angepasst. Mit jedem Tag mehr Erfahrung werden wir dann die Werte im Verlauf der Infektionswelle verbessern können.
(Anmerkung 30.3.2020, Dirk Paessler: Über das Wochenende haben wir bereits 2 Werte angepasst, den %-Anteil der Infizierten, die in die Ambulanz kommen, von 5% auf 20% und das Tageswachstum von 30% auf 25%).
Dirk Paessler: Welche Hilfe und Unterstützung wünschen Sie sich aktuell für das Klinikum und ihr Team?
Harald Dormann: Mein Wunsch für unsere Klinik wäre, dass wir genügend Nachschub für unsere Schutzausrüstung bekommen und dass wir genügend Hilfsmittel akquirieren können. Am meisten würde ich mich über freiwillige Helfer freuen, die sich unter corona-hilfe@klinikum-fuerth.de bei uns melden können.
Dirk Paessler: Sie müssen jetzt wieder zurück in den Krisenstab. Können Sie uns zum Ende des Interviews noch kurz Ihre Einschätzung der weiteren Entwicklung ab April und für den Sommer geben? Viele Menschen hoffen immer noch, dass wir nach den Osterferien zur Normalität zurückkehren werden und dass wir im Sommer in den Urlaub ins Ausland fahren können.
Harald Dormann: Im Klinikum werden wir erst Ende April durch den Höhepunkt der Patientenwelle gehen – wie in fast allen Regionen Deutschlands. Solange wir keinen Impfstoff und kein Medikament gegen Covid-19 haben kann ich mir kaum vorstellen, dass wir sehr bald zu einer Normalität mit Schulbetrieb, vollen Fußballstadien oder Auslandstourismus zurückkehren können. Natürlich müssen wir so bald wie möglich wieder dafür sorgen, dass die Menschen wieder arbeiten können, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Aber wir werden dabei weiter Abstand halten müssen und mit Einschränkungen leben müssen – und trotzdem befürchte ich noch eine zweite Welle an Infektionen im Sommer.
Dirk Paessler: Herr Prof. Dormann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Vielen Dank an Sie und Ihr Team im Klinikum für ihre Arbeit!
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