Covid-19: Deutschland hat die erste Phase ganz gut überstanden. Was nun?

Gestern war der 46. Tag des Lockdowns in Deutschland (der einer der lockersten Lockdowns in Europa ist).

Wir alle sind mehr oder weniger genervt, hassen es mit Maske einkaufen zu gehen, Freunde und Familie nicht sehen oder gar umarmen zu können. Und es gibt viele Menschen, die durch Corona noch vor viel ernsteren oder gar existentiellen Problemen stehen als zu-Hause-bleiben-zu-sollen.

Und es wird gestritten im Land darüber wie wir weitermachen und wann wir wieder “aufmachen”. Es steht so viel auf dem Spiel! Dabei sind wir in Deutschland mit einem der besten Ausbruchs-Verläufe der Welt beschenkt (Melinda Gates sagt in der SZ: “Wäre ich Bürgerin von Deutschland, ich wäre schrecklich stolz“) und haben eine Menge zu verlieren, wenn wir das jetzt verk**cken.

Dabei sollten wir uns alle klar darüber sein, dass die Antwort auf “wie machen wir weiter” viel schwieriger ist, als viele es zugeben wollen. Ich bin sehr sehr froh, dass ich nicht diese Entscheidungen fällen muss, die anstehen. Oder, um es mit einem Tweet zu sagen:

Das Corona Virus wird uns noch 2-3 Jahre begleiten, das geht nicht wieder weg.

Ein Blick in die USA (rechts) zeigt, welchen Verlauf ein schlimmer Ausbruch durch falsche Politik haben kann. “Aufgrund von Inkompetenz”, begründet der Seuchenforscher Larry Brilliant das.

In New York City tragen bereits 15-20% der Menschen Antikörper, hatten also Kontakt zum Virus. Das ist weit weg von der 60-80% Herdenimmunität. Dabei sind aber schon 0,2% der Einwohner der Stadt tot (18.000) – in Deutschland wären das 160.000 Tote, wir haben aber nur 6.800 Todesfälle.

Wie ist uns das gelungen? In diesem Artikel werfe ich einen Blick zurück auf die Daten der letzten 8 Wochen.

Was bisher geschah…

Die erste Welle der SARS CoV2-Infektionen in Deutschland haben wir sehr gut überstanden, besser als die meisten anderen Länder auf der Welt. Weil wir frühzeitig und richtig reagiert haben (und weil wir vorher schon weltweit eines der Länder mit den meisten Intensivbetten pro Einwohner waren).

Wie war das noch…. Wie ging das damals los? Innerhalb von 10 Tagen – vom 9. März bis 19. März – haben wir aufgehört in Restaurants zu gehen, wie man an den Daten des Restaurant-Buchungs-Systems OpenTable sehen kann:

Quelle: Opentable.com The state of the restaurant industry

Ab dem 18. März waren wir alle meistens zu Hause wie man aus den Routenplanungs-Anfragen an Google Maps herauslesen kann:

Quelle: Google Mobility Trends

Das Ergebnis war, dass sich die Reproduktionszahl Rt (=wieviele andere Menschen steckt ein Infizierter an?) genau so entwickelt hat, wir wir uns das gewünscht haben.

Quelle: https://gitlab.com/simm/covid19/secir/-/wikis/Report

Am 15.3. ist schön sichtbar, dass es etwas gebracht hat, nicht mehr in Restaurants zu gehen usw. Ab dem 20.3. sehen wir die Wirkung des “Lockdowns” als wir alle zu Hause blieben.

In den Zahlen der täglichen Neuerkrankungen des RKI sieht man, dass diese Statistik etwa 8-14 Tage später auf die beiden o.g. Verhaltensänderungen reagiert (u.a. wegen Inkubationszeit):

Quelle: https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4

Noch bis zum 14.3. ging es mit den Neuerkrankungen steil bergauf, dann ein Plateau und ab dem 4.4. ist ein klarer Abwärtstrend zu sehen.

Der Höhepunkt der Todesfälle kam dann erst am 8.4., also nochmal verzögert:

Quelle: https://www.worldometers.info/coronavirus/country/germany/

Wenn man auf die Belegung der Intensivbetten in ganz Deutschland schaut, dann sehen wir, dass wir anscheinend mit maximal ca. 2.500 Covid-19 Fällen in den Intensivstationen deutlich unterhalb der Kapazitäten lagen, es wäre Platz für 3 mal mehr Patienten gewesen. Aber…

Quelle: https://www.divi.de/register/tagesreport

Aber wenn wir Anfang/Mitte März, als die Anzahl der Infizierten sich noch alle 3 Tage verdoppelt hat, nur 6 Tage später (nicht mal eine Woche!) in den Lockdown gegangen wären, dann hätte sich die Anzahl der Infizierten und damit der Intensivpatienten bereits vervierfacht. Und wir hätten diesen Puffer an Intensivbetten aufgebraucht. Was wir erlebt haben war eine Punktlandung, und zwar eine, die wir so niemals hätten vorausberechnen können!

Als Gesellschaft können wir schon ein bisschen darauf stolz sein, dass wir das gemeinsam, also die Bürger, Institutionen und Regierung zusammen, so gut hinbekommen haben. Wir hatten grosses Glück!

Aber es ist nicht nur unverhofftes Glück, es ist auch das Ergebnis einer Politik, die auf die Wissenschaftler hört. Die gewarnt haben vor dem, was in Bergamo, New York oder Madrid passiert ist.

OK. Haben wir also gut gemacht. Und jetzt?

Die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft hat uns bereits bewiesen, dass sie zu guten Ergebnissen kommt.

Aber auch jetzt kann die Wissenschaft keine fertigen Antworten liefern. Keiner weiß tatsächlich, ob und wann wir Schulen, Läden, Restaurants aufmachen können. Und welche Regeln dort gelten müssen. Das werden wir iterativ herausfinden müssen. Schritt für Schritt, und wenn wir zu weit gegangen sind, dann wieder ein Stück zurück. Wie gesagt, ich bin froh, dass ich diese Entscheidungen nicht fällen muss.

Klar ist: Diese “Nicht-Sicherheit” – die im wissenschaftlichen Arbeiten der Normalzustand ist – ist für eine Gesellschaft schwer zu ertragen. Erst recht, wenn sich der Wissensstand mit der Zeit verändert und jetzt andere Ergebnisse vorliegen als vor 8 Wochen. Bringt nix, müssen wir alle zusammen durch.

Contact Tracing bitte

Das ausdrückliche Ziel der Bundesregierung ist das Absenken der Neuinfektionen bis wir mit Contact-Tracing alle aufkommenden Infektionen verfolgen können. Dazu muss Rt unter 1 bleiben.

Was ich mit Sorge sehe ist der sich abzeichnende Trend, dass die Bundesländer jetzt unterschiedlich schnelle und verschiedene Öffnungsschritte gehen wollen. Irgendwann werden bei stetigen Öffnungsschritten die Infektionszahlen wieder nach oben gehen. Wenn wir jetzt aber einen bunten Blumenstrauss von Öffnungen machen und die auch noch frei auf der Zeitachse verteilen, können wir nicht lernen, WORIN das größte Problem besteht. Wir wissen nicht welche Aktion der Grund war wenn 14 Tage später die Infektionszahlen hochgehen.

Alle 10-14 Tagen einen beherzten Schritt machen, dann abwarten wie das “System reagiert”. das wäre ein für mich ein logisch und strategisch begründetes Vorgehen – kombiniert mit Kontakt-Verfolgung.

Der Sommer ist trügerisch

Und dann kommt jetzt noch ein Aspekt dazu: Wir gehen jetzt in den Sommer, die Menschen sind jetzt viel mehr draußen und treffen sich draußen – wo man sich bei weitem weniger schnell anstecken kann als in schlecht belüfteten Innenräumen. Das UV Licht killt draußen auch die Viren sehr schnell. Alleine diese Effekte könnten Rt um 0,5 senken.

Wenn wir uns also jetzt im Sommer wieder ein höheres Maß an Begegnung angewöhnen und die Regeln schleifen lassen, könnte im Herbst eine zweite Welle kaum zu vermeiden sein – weil wir dann alle wieder drinnen zusammen sitzen.

Klar ist nur, dass wir nicht zurück können zum “alten Normal”

Dann sind wir ganz schnell wieder so, wo wir Anfang März waren (s.o.).

Nicht die Maßnahmen schädigen die Wirtschaft, sondern ein tödliches Virus.

Diesen Satz schreibt Thomas Laschyk im volksverpetzer.de-Blog. Ist seltsam, dass man das immer wieder sagen muss. Und weiter unten schreibt er (und sichtet sich an die Gruppe der “skeptischen” Corona-Leugner, die ihre Freiheit bedroht sehen):

Wir machen alle eine schwere Zeit durch, manche mehr, manche weniger. Aber weil du eine Maske zum Einkaufen tragen musst, wirst du nicht “versklavt”, krieg dich wieder ein. Ja, es gibt Menschen, die ernste psychische und finanzielle Probleme haben. Dafür kann aber weder ich was, noch Frau Merkel. Wir erleben halt eine Ausnahmesituation sondergleichen.

Carl Bergstrom, Epidemiologe aus Washington, schreibt:

There is this sense that restrictions are killing the economy and lifting them would fix everything. But the fear that comes with being in a pandemic, even at the managed level we are at right now, has a similar effect. Lifting lockdown does not mean automatic economic recovery.

Der Corona-bedingte Verlust des Vertrauens in alltägliche Begegnungen ist was unsere Wirtschaft belastet. “Menschen treffen” hat seine Unschuld verloren – und das wird noch mindestens 1-2 Jahre so weitergehen.

Eine schnellere Öffnung bringt die Wirtschaft nicht sofort wieder in Gang – und könnte eine zweite Welle auslösen. Und das wollen wir alle sicher nicht.

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG

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