Letzte Woche hatte ich in meinem Artikel “Lockdown-Light reicht nicht: Ich gebe dem Regelbetrieb in Schulen usw. maximal noch 2-3 Wochen…” schon argumentiert, dass der Lockdown nicht reichen könnte.
Das wird aus meiner Sicht jetzt noch klarer. Schauen wir uns mal wieder ein paar Zahlen an und ich schlage eine mögliche Interpretation der Zahlen vor:
Der erste Erfolg: Die Neuinfektionszahlen stagnieren
Zwei Wochen nach Beginn den Lockdowns können wir eine Ende des Wachstums der neuen Infektionen verzeichnen:

Aber das ist nur die halbe Wahrheit:
- 1. Was wir hier sehen kann noch gar nicht die alleinige Wirkung des Lockdowns sein (s.u.).
- 2. Im Schnitt jeden Tag fast 18.000 neue Infektionen bedeutet in 3-6 Wochen jeden Tag ca. 360 Tote (das ist wie wenn zwei 737 abstürzen würden – jeden Tag) und jeden Tag 1.800-3.600 Menschen, die noch monatelang mit “long-covid”-Spätschäden der Infektion herumlaborieren werden. Ganz abgesehen von der Überlastung der Kliniken. Wir müssen also unbedingt so schnell wie möglich runter von dieser Zahl.
Was wir hier sehen kann noch gar nicht die alleinige Wirkung des Lockdowns sein
Offiziell startete der Lockdown am 3.11.2020, wenn man sich aber die Entwicklung der Zahlenwerte anschaut, dann sinken die deutschlandweiten Neuinfektionszahlen schon ab dem 27.10.2020:

Wie kann das sein? Letzte Woche hatte ich in meinem Blogartikel schon die Veränderungen an den Testkriterien am 3.11. erwähnt (das ist zu spät um als Erklärung zu passen) und die Überforderung der Gesundheitsämter. Die Positivraten der Tests in Deutschland steigen seit Anfang Oktober, ab 27.10.2020 sind wir über 5%, dem Wert den die WHO als Grenzwert angibt, darüber gerät die Lage außer Kontrolle, weil man nicht mehr genügend testet. Das passt schon besser.
Aber es dürfte noch einen anderen Grund geben, der hier vielleicht viel stärker reinspielt als man denkt:
Die Herbstferien
Wenn man die wöchentlichen Inzidenzen der Bundesländer so in eine Grafik einzeichnet, dass sie alle bei “Woche 0” zum Start der jeweiligen Ferien übereinander liegen, dann sieht das so aus:

Praktisch in allen Bundesländern, in denen der Ferienbeginn schon mehr als 3 Wochen her ist, sinkt in der 3. Woche das Wachstum der Inzidenzen, nachdem sie vorher 8 Wochen lang gewachsen war.
Die Bundesländer, in denen die Ferien weniger als 3 Wochen her sind (z.B. Bayern, BaWü, Sachsen) gehen schon in Woche 1/2/3 in den negativen Bereich, weil bei denen auch noch der Lockdown-Light ab 3.11. zusätzlich wirkt. Deutlich negatives Wachstum, DAS ist was wir wollen!
Können wir die Wirkung der Ferien in der Entwicklung der Neuinfektionen “sehen”?
Die früheren Bundesländer hatten einen Ferienanfang am 5.10. oder 12.10. und 2 Wochen Ferien, gerade die bevölkerungsreichen. Die Wirkung setzte dann in der 3. Woche also zwischen dem 19.10 und 26.10. ein. Genau da, wo der Knick in der deutschlandweiten Grafik ist. 2 Wochen später, zwischen dem 2.11. und 9.11. müßte die Wirkung am Ferienende wieder aufhören. Und siehe da, da flacht sich die Verlangsamung auch schon ab.

Und wann wirkt der Lockdown-Light?
Die Fachleute erwarten eine sichtbare Wirkung eines Lockdowns nach “7-10 Tagen“, ggf. sogar mehr. Heute sind es 14 Tage und mit etwas gutem Willen könnte man seit 9.11. tatsächlich eine Wirkung sehen, wobei die Feriensenkung der “späten Ferienländer”, darunter mit BW und BY zwei große Länder, noch helfen: Die Wachstumsraten der Neuinfektionen sind nochmal runtergegangen zur Vorwoche.

Denn nach dem Ende der Ferienwirkung beginnt natürlich wieder das Wachstum der Neuinfektionen, der Virus will sich ja exponentiell ausbreiten.
Also, wie geht es weiter?
In der Neuinfektionskurve kämpfen gerade mindestens drei verschiedene Trends gegeneinander:
- exponentielles Wachstum des Virus (nach oben)
- Wirkung des Lockdown Light (nach unten) durch weniger Mobilität und Kontakte
- Herbstferienwirkung der späten Bundesländer (nach unten), das läuft aber übernächste Woche aus
Und alles was wir damit bisher schaffen ist ein Nullwachstum der Neuinfektionen? Immer noch werden 18.000 Menschen jeden Tag infiziert!
Das reicht nicht.
Wenn der Lockdown Light nicht reicht, was dann?
Ein Blick nach England zeigt, wo dort die meisten Infektionen entstanden sind (Woche 36-40):
Bildungseinrichtungen liegen dort ganz klar vorn, gefolgt von Arbeitsort und Altenheim. Für Deutschland haben wir die Situation, dass das RKI ca. 3/4 der Infektionen nicht verorten kann, wir haben da also eine schlechte Datenlage.
Die drei Bereiche Arbeit, Schule und Altenheim sind ja dann auch genau die einzigen großen Bereiche, die unser Lockdown-Light in Deutschland im Moment noch offen hält, und im Fall der Schulen sogar mit “Vollbetrieb auf Biegen&Brechen”. In den Altersgruppen 0 bis 20 Jahre verdoppelt sich denn ganz grob die Inzidenzzahl alle 2 Wochen (und dabei scheinen Kinder viel seltener getestet zu werden):

Mein Fazit
Mein Fazit am Ende dieses Tages:
- Der Lockdown Light scheint mir nicht “hart genug” zu sein (ich weiß, ist ne sch** Erkenntnis)
- Die Schulen als Ort der Übertragung werden m.E. deutlich unterschätzt, ein bewusstes auf-die-Pandemie-eingehen in den Regelungen wäre nötig, und wenn das zu spät kommt, muss man die Schulen später ganz zu machen – das kann ja keiner wollen.
- Wenn die Deutschen diese Ferienwirkung in den Sommerferien voll ausgenutzt hätten, und nicht in den Urlaub gefahren wären, dann könnten wir jetzt im Herbst eine völlig andere Situation haben.
- Erleichterungen des Lockdowns sind in weiter Ferne.
Unsere Kanzlerin sieht das ähnlich: “Grund zur Erleichterung ist das für die Kanzlerin allerdings offenbar nicht. »Die Zahlen stabilisieren sich etwas. Aber zu langsam«, sagte Angela Merkel während einer Sitzung des CDU-Präsidiums.”
Leider scheint sie da nicht mit allen Ministerpräsidenten einer Meinung zu sein. Die treffen sich gerade während ich das hier schreibe. Mal sehen was da herauskommt. Es gibt ja noch Bundesländer, in denen im Unterricht keine Maskenpflicht und keine echte Abstandspflicht herrscht für die Kinder. Dann verdoppeln sich eben die Neuinfektionen alle 2 Wochen, siehe oben.
Wenn wir mit den Schulkindern in einem – nicht gerade kleinen – Teil der Bevölkerung exponentielles Wachstum haben, können die anderen Teile der Bevölkerung sich so viel einschränken wie sie wollen. So wird das nix mit einem Sinken der Gesamtzahlen.
Hoffen wir, dass meine hier beschriebenen Einschätzungen zu pessimistisch sind.
Abschlussgedanke
Sind wir es den Kulturschaffenden, Schaustellern, Gastronomen und allen anderen, die wegen Corona zur Zeit keine Arbeit haben, nicht schuldig, dass wir das jetzt schnell und knackig beenden, und zwar bevor die Impfungen uns bis Ende 2021 aus diesem Schlamassel heraus retten? Mit Kuschelkurs und Zögern verlängern wir das alles nur – wir müssen den Virus aus unserem Leben drängen, das sagen die Epidemiologen wie Devi Sridhar aus Schottland:
4 thoughts on “Lockdown-Light reicht wohl nicht aus (Teil 2)”
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