Ein kurzer Blick auf die Weiterentwicklung der Daten seit meiner “Vorhersage” vom letzten Sonntag (siehe “Lockdown ab Mittwoch: Und wie lange?“).
Meine Vorhersage ist bisher nah dran an der Realität
Nachdem die vergangene Woche mit stärkerem Neuinfektions-Wachstum losgegangen ist als von mir angenommen, sinkt das Wachstum jetzt seit 2-3 Tagen. Ob das einfach nur eine gute Nachricht ist (weil die Menschen auch schon ohne Lockdown umsichtiger waren), oder ein Produkt der Tatsache, dass wir (erneut) an die Grenzen unserer Testkapazitäten stoßen und deswegen nicht mehr alle zusätzlichen Fälle finden, kann keiner sagen. Zumindest liegt meine Wachstums-Vorhersage aktuell genau da, wo die einlaufenden neuen Zahlen liegen (ca. plus 15-17% zur Vorwoche).
Hier der Vergleich meiner Vorhersage von letzter Woche (grün/schwarz) mit den neuen Daten bis heute und der darauf basierenden neuen Vorhersage (blau/rot):

Der Zeitpunkt, an dem wir deutschlandweit unter Inzidenz 50 pro 100.000 sinken (das ausgesprochene Ziel der Regierungen) wäre immer noch um den 26. Januar 2021. Am 10.1.2021 – dem aktuellen offiziellen Ende der aktuellen Lockdownverordnung – würden wir deutschlandweit bei einer Inzidenz von etwa 105 liegen, also da muss noch was nachkommen.
Aber das klappt natürlich nur, wenn wir die knapp 30% wöchentliche Absenkung der Neuinfektionen auch wirklich zügig erreichen mit unserem “harten” Lockdown, dessen Wirkung wir ab Weihnachten sehen sollten. Das heißt, dass wir uns alle brav fernhalten voneinander (die Mobilitätsdaten zeigen das leider noch nicht an) UND dass die Menschen über Weihnachten und Sylvester keinen Rudel-Quatsch mit Omi, Onkel, Tante, und xyz machen UND dass sich die Hinweise auf eine 70% stärker ansteckende Virus-Mutation aus England nicht bewahrheiten.
Insgesamt darf man also noch herzlich skeptisch sein über den weiteren Verlauf, das dauert wenn dann länger, nicht kürzer. Meine o.g. Kurve ist eine optimistische Prognose.
Die Wissenschaft fordert sogar Inzidenz 7
Gestern wurde eine Stellungnahme von über 300 renommierte Forscher/Innen aus Europa veröffentlicht, die im Fachblatt »Lancet« fordern, die Fallzahlen in ganz Europa drastisch zu senken. Unterschrieben haben mehr als 300 Wissenschaftler/Innen. Darunter “das Who-is-who der deutschen Corona-Experten: Christian Drosten von der Berliner Charité, Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Uniklinik Frankfurt, Melanie Brinkmann sowie Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Und besonders beachtlich, weil er sich in der Coronakrise bisher nicht mit Positionspapieren hervorgetan hat: Lothar Wieler, der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI)“.
Dazu schreiben die Wissenschaftler in der Stellungnahme:
In allen Ländern Europas führt die COVID-19 Pandemie zu vermehrten Todesfällen, belastet die Gesellschaften, ihre Gesundheitssysteme und beeinträchtigt ihre Volkswirtschaften. Bislang haben die Regierungen in Europa keine gemeinsame Vision für den Umgang mit der COVID-19-Pandemie entwickelt. Es liegt überwältigende wissenschaftliche Evidenz dafür vor, dass nicht nur für die öffentliche Gesundheit, sondern auch für die Gesellschaften und Volkswirtschaften niedrige COVID-19 Fallzahlen von großem Nutzen sind. Auch wenn Impfstoffe helfen werden, das Virus unter Kontrolle zu bringen, ist damit nicht vor Ende 2021 zu rechnen. Wenn wir nicht jetzt entschlossen handeln, ist mit weiteren Infektionswellen zu rechnen, und als Konsequenz mit weiteren Schäden für Gesundheit, Gesellschaft, Arbeitsplätze und Betriebe. Angesichts offener Grenzen kann jedoch kein Land allein die Infektionszahlen niedrig halten, daher sind gerade gemeinsame Ziele und gemeinsames Handeln essentiell. Wir fordern daher eine starke, koordinierte europäische Antwort mit klar definierten mittel- und langfristigen Zielen.
In den Presseberichten darüber habe ich häufig gelesen, dass die Forscher eine Inzidenz von 10 fordern, aber was einige Leser wohl übersehen haben, ist dass die Forscher von 10 pro 1 Million Einwohner pro Tag sprechen (und nicht – wie wir meistens meinen – pro 100.000 Einwohner pro Woche), also das wären 7 Fälle pro 100.000 Einwohner pro Woche. Oder 5.800 pro Woche in ganz Deutschland.
Aktuell sind es 172.000 Neuinfektionen pro Woche in ganz Deutschland. Wenn wir einen guten, effektiven Lockdown durchhalten mit einer Halbierungszeit von z.B. 14 Tagen (das hatten wir im April und Mai zeitweise geschafft) wären wir Anfang/Mitte März an diesem Punkt. Bei dieser Inzidenzrate waren wir auch schon von 14. Mai 2020 bis 8. August 2020. Erinnert Ihr Euch? Da fühlte sich das Alltags-Leben wenigstens halbwegs normal an. Dahin wollen wir alle zurück!
Der Spiegel berichtet weiter von der Wissenschaftler-Stellungnahme:
Niedrige Infektionszahlen haben laut dem Positionspapier dagegen mehrere Vorteile:
- Leben retten: Wenn sich weniger Menschen infizieren, erkranken weniger Menschen oder sterben. Bisher ist es keinem Land gelungen, Risikogruppen zu schützen, wenn sich das Virus erst ausgebreitet hatte.
- Leichtere Kontrolle: Sind die Fallzahlen niedrig, kommen begrenzte Kapazitäten nicht so schnell an ihre Grenzen. Das konsequente Testen, Nachverfolgen und Isolieren von Verdachtsfällen sowie die Einhaltung der AHA-L (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften) können reichen, um einen erneuten Anstieg der Fallzahlen zu verhindern.
- Bessere Planbarkeit: Bleiben die Fallzahlen stabil, braucht es keine überhasteten zusätzlichen Beschränkungen. Die Planungssicherheit nützt der Wirtschaft.
Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung und insbesondere die Ministerpräsidenten dieses Wissen aufnehmen und umsetzen. Und uns nicht in einen Jojo-Lockdown bringen (“hart” und “light” im ständigen Wechsel bis 2022).
Und der Kultusminister-Konferenz muss jemand bescheid sagen. Denn ein Inzidenz-7-Plan bis März würde m.E. bedeuten, dass die Schulen bis März größtenteils zu bleiben müssen (also Distanz-Unterricht/-Lernen). Mit offenen Schulen im Regelbetrieb schaffen wir keine Absenkung der Neuinzidenzzahl, das haben wir uns ja schon in den letzten 6 Wochen im November und Dezember selbst bewiesen, bis es dann sogar außer Kontrolle geraten ist.
Viele Experten sagen, dass die offenen Schulen bei hoher Inzidenz zumindest eine große Rolle spielen. Beispiele: Prof. Drosten und Michael Wagner. Wie man das Thema “Kinder, die unter Schulschliessungen massiv leiden müssen” löst, ist mir aber auch unklar. Aber einfach aufmachen können wir die Schulen m.E. nicht am 10.1.2021, das wäre der Einstieg ins Jojo.
200 ist das neue 50 (WTF?)
Mit den Kultusministern habe ich eh noch eine Rechnung offen, denn deren Deklaration von “200 ist das neue 50“, also die wissenschaftlich völlig untragbare Erhöhung der Grenzwerte für Distanz-Unterricht und geteilte Klassen von Inzidenz 50 auf 200 am 25.11.2020 , hat mir meine Vorhersage “Ich gebe dem Regelbetrieb in Schulen usw. maximal noch 2-3 Wochen…” in Blogartikel vom 8.11.2020 kaputtgemacht.
Der von mir vorhergesagte Termin ca. 25.11. für eine Veränderung in den Schulen hat gestimmt, nur den Verstoß der Kulturminister (die in diesem Land übrigens für Bildung und Vermittlung von wissenschaftlichem Verständnis zuständig sind!) gegen die eindringliche Empfehlungen der Wissenschaft hatte ich nicht für möglich gehalten. Diese 50er-Empfehlung steht bis heute auf der Website des RKI unverändert als Empfehlung.
Diese Missachtung der Wissenschaft durch die Politik muss baldmöglichst anders werden! Beim Thema Klimawandel ist das übrigens genauso, da werden die wissenschaftlichen Realitäten von der Politik auch mit Füßen getreten.
Zum Abschluss noch zwei interessante Tweets/Links

2 thoughts on “Corona: Am 10. Januar ist der Lockdown wohl kaum zu Ende”
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