Willst Du besser verstehen, wie die verschiedenen Parameter der Pandemie ineinandergreifen? Mehr R, weniger Saisonalität, schnelleres Impfen, Notbremse bei 100, 50 oder 10? Oder alles aufmachen?
Welche Möglichkeiten haben wir denn, um die Pandemie zu steuern? Mit meinem Modell kannst Du spielerisch die Wirkung dieser Parameter kennenlernen. Und das auch noch mit den Zahlen von Deinem Landkreis.
Video-Vorstellung des Modells
Im Video stelle ich das Modell vor und zeige, wie sich da Verändern der Parameter auf den weiteren Verlauf auswirkt:
Wie Mathematik und Datenanalyse helfen
Die Corona-Pandemie zeigt uns, wie wichtig Mathematik und Datenanalyse im Alltag sein können. Das Ansteigen und Sinken der Infektionszahlen kann man ziemlich gut mit mathematischen Modellen vorhersagen, wenn man per Datenanalyse vorher die nötigen Eingangs-Parameter dafür gefunden hat.
Intuition und unsere Erfahrungen aus dem Alltag sind beim Ausblick auf den weiteren Verlauf der Pandemie wenig hilfreich, wir haben sonst fast nie mit exponentiell verlaufenden Ereignissen in dieser Größenordnung und Geschwindigkeit zu tun.
Deswegen liegt unser einfaches Bauchgefühl für den weiteren Verlauf auch oft daneben, wie wir alle auch an unserem Umgang der Pandemie erkennen können: Im Frühjahr 2020 hatten viele gedacht, im Sommer sind wir durch. Im Sommer hatten viele das Gefühl, das Corona vorbei ist. Im Herbst wollte man schauen, ob es wirklich so schlimm kommt, und es kam so schlimm. Im Winter kam die Hoffnung auf, dass es im Frühjahr vorbei ist. Auch jetzt denken viele wieder, dass wir im Sommer fertig sind mit SARS-COV2. Und wieder wird sich das als falsch herausstellen.
Entsprechend kurzsichtig war bisher unsere Politik, man “fuhr auf Sicht” ohne langfristiges Ziel. Und jetzt dämmert es dann doch den meisten, dass wir auch in diesem Sommer nach der 3. Welle mit der Pandemie nicht fertig sein werden, insbesondere wenn die nächste Mutation aufkommt.
Damit wir alle ein besseres Verständnis für den weiteren Verlauf entwickeln können möchte ich hier eine Version meines Pandemie-Prognose-Modells zur Verfügung stellen, mit dem jeder mit den Daten ausgewählter Städte oder – nach Eingabe der lokalen Daten seines Landkreises – einfache Modellrechnungen für die nächsten Wochen und sogar den restlichen Jahresverlauf anstellen kann. Wenn man dann anfängt, die verschiedenen Eingabe-Parameter zu verändern, kann man interaktiv zuschauen, wie sich die Prognosen ändern und es stellt sich visuell ein Lerneffekt ein!
Mir hat dieses “Rumspielen” sehr geholfen zu verstehen, dass für uns langfristig nur eine Niedrig-Inzidenz-Strategie eine gute Lösung sein kann, denn sonst leben wir in den nächsten 2-3 Jahren unter massiven Einschränkungen des Alltagslebens. Und das wollen wir alle nicht. Keiner.
Das Modell
Mein Modell habe ich in meinem Blog ausführlich beschrieben. Im Prinzip berechne ich aus den historischen Altersgruppen-Inzidenzdaten vom RKI für jede Altersgruppe den weiteren Verlauf und berücksichtige dabei den Impffortschritt, die Saisonalität, die Ansteckung zwischen den Altersgruppen usw., aber auch die Tatsache, dass eine Impfung eine Infektion nicht zu 100% verhindern kann.
Was das Modell kann – und was nicht
Wenn man sich das Arbeitsprinzip des Modells anschaut wird schnell klar, dass wir hier keine verlässlichen Vorhersagen darüber machen können, wie die Inzidenz in 6, 12 oder 20 Wochen sein wird. Auch deswegen, weil wir nicht wissen, wie sich das Verhalten der Menschen und die Einschränkungen verändern werden.
Aber für die nächsten 3-4 Wochen sollten die Inzidenzwerte ganz gut passen, wenn die Parameter klug gewählt werden (Fehler<40-50%). In diesem Genauigkeitsbereich lagen zumindest frühere Versionen meines Modells, wenn man sie mit den sich dann tatsächlich ergebenden Inzidenzwerten vergleicht. Was mehr als 4 Wochen in der Zukunft liegt wird zunehmend unsicherer.
Was aber viel wichtiger ist in diesem Zusammenhang: Wir können die Wirkung der einzelnen Modellparameter auf den Verlauf erforschen und ausprobieren. Bundeslockdown mit 100/200 als Grenze oder besser 35/50? Wie schlimm darf eine Mutation noch sein, dass wir sie per Impfung im Griff halten können? Wie lange würde ein harter Lockdown dauern bis Inzidenz 10? usw.
Natürlich übernehme ich für die Modell-Ergebnisse keinerlei Garantie, Gewähr, Haftung, usw. Wie gesagt: das Ziel des Modells ist hier nicht die Zukunft vorherzusagen (die kommt sowieso anders), sondern die möglichen Handlungsoptionen im Jetzt miteinander zu vergleichen!
“Installations”-Anleitung
Mit den folgenden Schritten kommst Du zu einer Datei, mit der Du arbeiten kannst:
- Die brauchst ein Google-Konto (das Modell kommt als Google Sheets Datei).
- Klick den folgenden Link, um eine Kopie meines Modells in Deinem Google Konto anzulegen: Eine Kopie des Modells (für SK Fürth) anlegen
- Jetzt hast Du das Modell vor Dir.
- Gebe die historischen Inzidenzwerte Deiner gewünschten Region auf dem Tab “Lokale historische Inzidenzen” ein. Mindestens die letzten 6 Wochen sollten drin sein. Wichtig: Bitte die Datumsangaben beachten, es wird für jede Kalenderwoche jeweils die Inzidenz des Folge-Montags eingegeben, weil sich dieser aus der Fallzahl der Vorwoche berechnet.
- Für die Woche des 19.4.2021 und 26.4.2021 solltest Du aus Deiner lokalen Situation zwei Erwartungswerte für die Inzidenz haben, also die offizielle Inzidenz am 26.4. und Deine Schätzung für den 5.3.
- Passe die beiden türkis hinterlegten R-Werte so an, dass die unten grün hinterlegten Inzidenzen dazu passen.
- Damit ist das Modell nun auf Deine Region “eingestellt” und Du kannst an den anderen Parametern drehen.
Du siehst jetzt die Prognose des Modells mit den von mir festgelegten Standard-Parametern vor Dir:

Die Ausgabe in den Grafiken ist größtenteils selbsterklärend denke ich.
Erklärung der Parameter
Jetzt können wir die verschiedenen Parameter verändern und sehen was passiert, wenn wir verschiedene Szenarien vergleichen. Bei jeder Änderung der Werte wird das Model automatisch neu durchgerechnet!
Parameter | Standard Wert | Beschreibung |
---|---|---|
Impfgeschwindigkeit | 100% | Bei 100% sind bis Ende Juli alle Impfwilligen geimpft. Wenn Du hier 50% einstellst, dauert es bis November. |
Saisonalität | 20% | Wir erwarten, dass sich der R-Wert im Sommer um 20% absenkt. Bewiesen hat das noch keiner, vielleicht ist dieser Wert höher oder niedriger. |
R(Wild) ab 12.4. | 1,10 | Von Dir eingegebener Wert um Inzidenz am 26.4. korrekt einzustellen |
R(Wild) ab 19.4. | 1,00 | Von Dir eingegebener Wert um Inzidenz am 3.5. so einzustellen, wie Du das erwartest |
R(Wild) ab 26.4. | 0,00 | Hier kannst Du entweder eine “0” eingeben, dann verwendet das Modell die Bundes-Notbremse als Regelung fürs Lockern/Verschärfen. Oder Du gibst einen bestimmten R-Wert ein. Zwei Beispiele: Der Wert 2 zeigt, was passiert wenn wir am 26.4. alle Einschränkungen aufheben würden. Echt, das muss man gesehen haben! Der Wert 0,6 oder 0,7 zeigt was passiert, wenn wir am 26.4. einen richtig strammen Lockdown machen würden. |
Parameter | Standard Wert | Beschreibung |
---|---|---|
Notbremse Grenze 1 | 100 | Der Standardwert der ersten Stufe der Einschränkungen Bundesnotbremse liegt bei 100. Tip: Probier mal aus was passiert, wenn Du 50/100 oder 20/35 als Grenzwerte eingibst, dann liegen zwar die Inzidenzen niedriger, aber der Jojo-Effekt ist immer noch da. |
Notbremse Grenze 2 | 200 | Zweite Stufe der Bundesnotbremse, Standardwert 200 |
Notbremse R-Wild “ohne Bremse” | 1,2 | Das ist ein diffiziler Wert, denn man nur abschätzen kann: Welchen R-Wert möchtest Du annehmen, solange die Inzidenz unter 100 ist, sodass die Bundesnotbremse nicht “zuschlägt”? Du drückst damit aus, welches Maß an Einschränkungen wir haben werden, gemessen im R-Wert der Wild-Variante des Virus. Je höher dieser Wert ist, umso schneller ist man wieder bei 100 und Einschränkungen. Auf Basis der Historie kannst Du mit folgenden Schätzwerten arbeiten: November-Lockdown-Light= 1,0; März-Lockdown=1,1; Oktober Einschränkungen=1,3. Probier hier mal den Wert 1,5 oder gar 2 einzugeben (= “alles aufmachen”)! |
R-Faktor Mutation ab Juli | 0,00 | Im Modell ist das Aufkommen einer Mutation eingerechnet, die sich ab Juli ausbreitet. Hier muss man den R-Faktor im Vergleich zur Wild-Variante eingeben (0= keine Mutation, 1,3 entspricht B117, den Wert 1,5 könnte man für eine Mutation verwenden, die noch etwas ansteckender ist) |
Immun-Escape Mutation | 30% | Wirklich problematisch sind Mutationen, gegen die die Impfungen keinen vollen Schutz haben. Der Prozentwert gibt an, wie viele Geimpfte trotz Impfung erkranken (100% = Impfung wirkungslos) |
Damit sind wir durch alle Parameter durch.
Ausgesuchte Szenarien
Wie man einige ausgesuchte Szenarien modelliert möchte ich kurz zeigen:
- Wie wichtig die Impfungen sind: Wenn man die Impfgeschwindigkeit auf 0% stellt, simuliert man das Stoppen der Impfkampagne. Ergebnis: Über den Sommer würden die aktuellen Einschränkungen plus Bundesnotbremse noch irgendwie “halten”, ab Herbst geht es in die vierte Welle.
- Zu rasche Öffnungen ab 26.4.2021 kann man sich anschauen, wenn man Parameter “Notbremse R-Wild “ohne Bremse”” auf z.B. 1,5 oder 1,7 stellt. Ein Wert von 2 würde quasi den Wegfall fast aller Einschränkungen bedeuten. Ergebnis: Jojo.
- Kompletter Wegfall aller Einschränkungen Anfang Juli: Kann man mit “R-Faktor Mutation ab Juli” auf 2,00 und Immun-Escape Mutation auf 0%. Ergebnis: gigantische 4. Welle => Also: wir können nicht alles öffnen.
- Ausbruch einer Mutation: Kann man modellieren mit “R-Faktor Mutation ab Juli” auf z.B. 1,5 (20% ansteckender als B.1.1.7) und Immun-Escape Mutation auf z.B. 30%. Ergebnis: Irgendwas zwischen Bundenotbremse-Jojo und großer 4. Welle.
- Niedrig-Inzidenz-Strategie: Diese lässt sich vereinfacht dadurch simulieren, dass man die “Notbremse Grenze 1” und “Notbremse Grenze 2” auf z.B. den Wert 10 stellt “Notbremse R-Wild “ohne Bremse”” auf 1,1. Eine einmal erreichte Inzidenz unter 10 muss man mit viel Einsatz verteidigen, schon bei R=1,2 ergeben sich On-Off-Lockdowns im Modell. Aber die Werte bleiben unten.
Wichtiges Learning: Ohne Einschränkungen geht es in keiner Parameter-Kombination durchs Jahr 2021
Egal wie man die Parameter kombiniert, es gibt keinen Weg zum Wegfallen der Lockerungen im Sommer. Sobald man die R-Werte über 1,5-1,6 im Sommer gehen lässt, baut sich eine große 4. Welle auf, die dann auch nicht nur die Kinder betrifft, sondern eben auch die ungeimpften Erwachsenen (je nach Altersgruppe wollen sich 20-40% nicht impfen lassen nach aktuellem Stand).
Grundregel: Solange es noch größere Gruppen an Ungeimpften gibt in der Bevölkerung, ist die nächste Welle nur so weit weg wie das Lockern von zu vielen Maßnahmen.
Nur mit einer Niedrig-Inzidenz-Strategie mit weitreichender Impfquote kommen wir an den Punkt, dass wir wenigstens einen Teil der Einschränkungen aus unserem Leben rausbekommen.
One thought on “Spielerisch die Parameter der Pandemie-Mathematik verstehen – mit Prognosen für Deinen Landkreis!”
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