Aktuell sind 30% der Deutschen voll geimpft, 20% einmal geimpft und 50% nicht geimpft, darunter viele unter 16 Jahren und alle unter 12 Jahren.
Wie sollte man vorgehen, wenn sich Mitglieder dieser drei Gruppen zum Grillfest, Kaffee oder beruflich treffen?
Auch wenn im Moment gerade die Inzidenzen sehr niedrig sind, das Virus ist nicht weg und die hoch-ansteckende Delta-Variante ist bereits im ganzen Land unterwegs, aktuell schon über 10%, schnell wachsend. Wir müssen uns auf einen deutliche aggressiveren Gegner einstellen, der in ca. 2-4 Wochen die Mehrheit aller Ansteckungen verursachen wird.
Die kurze Antwort
Sobald auch nur eine Person (auch Kinder zählen mit!) dabei ist, die nicht 2-mal geimpft ist – plus 14 Tage – sollten sich alle Beteiligten vor einem Zusammentreffen testen, z.B. mit Heim-Schnelltests, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Dt. Gesellschaft für Immunologie.
Damit senkt man das Risiko einer Infektion bei den noch ungeschützten Teil- und Ungeimpften deutlich. Und dabei bedenken, dass ein Schnelltest nur 8h Gültigkeit hat, der Test von gestern ist wertlos in diesem Sinne. Und die AHA+L Regeln und insb. das Maske-Tragen kommen in Innenräumen und bei engen Menschenansammlungen hinzu.
Die lange Antwort geht etwas länger….
“Individueller Schutz” und “gesellschaftlicher Schutz” – Ein Missverständnis?
Weil die Politik in den Corona-Regeln die Voll-Geimpften den Negativ-getesteten gleich stellt, könnte man meinen, dass Voll-Geimpfte sich gar nicht mehr testen müssten. Dabei können sie aber immer noch eine Gefahr für die anderen beiden Gruppen sein.
Was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass jetzt und in der Vergangenheit »erlaubt« immer mit »sicher« gleichgesetzt wurde. Das ist aber nicht so.
Modellierer Torsten Lehr
Das Missverständnis entsteht, weil hier gesellschaftlicher Schutz (Vermeidung von Ausbrüchen bzw. Absenkung des R-Werts) und individueller Schutz (Ansteckung von teil- oder ungeimpften Teilnehmern vermeiden) in einen Topf geworfen werden.
Das ist aber nicht richtig so: Die Politik hatte vor einigen Wochen – zur Vereinfachung der Abläufe und um das Impfen attraktiver zu machen – entschieden, dass 2x Geimpfte sich nicht mehr an die Testvorschriften halten müssen, z.B. um einkaufen zu gehen oder für die Gastronomie. Dabei entstand leider auch der Eindruck, dass Geimpfte im individuellen Kontakt keine Gefahr mehr für die Ungeimpften sind.
Auf diese Idee war man aber nicht gekommen, weil die Impfung so toll schützen würden, wie wir gleich sehen, sondern weil die Schnelltests nur ~40% der Positiven erkennen können, und somit auch der nicht-volle-Schutz der Impfung immer noch besser war als ein Schnelltest.
Die folgende Tabelle zeigt den Impfschutz gegen Ansteckung (!) nach 1. und 2. Impfung für die beiden meistverwendeten Impfstoffe, und zwar aufgedröselt nach Alpha und Delta-Variante (Quelle).

Auch nach 2 Impfungen ist der Schutz gegen eine Ansteckung (und somit auch gegen das Weitergeben der Infektion) immerhin 93% für Biontech und nur 66% (!) für Astra. Bei der jetzt gerade aufkommenden Delta-Variante sinken beide Werte nochmal, das wird uns noch Probleme bereiten.
Gruppe 1: Die Voll-Geimpften
Der Geimpfte ist fein raus: die Impfstoffe schützen ihn zu >99% vor einer schweren Erkrankung und zu 92% vor einem Krankenhausaufenthalt (Quelle), damit liegt eine Infektion mit Delta für Geimpfte etwa beim Risiko einer Influenza-Infektion (Quelle). Ob die vollständige Impfung bei einer Infektion gegen LongCovid (10% der Infizierten!) schützt ist bisher unklar.
Also: Solange sich nur Geimpfte treffen, kann man wohl auf das Testen verzichten, weil selbst wenn ein infizierter Geimpfter andere Geimpfte ansteckt, liegt das Risiko für alle Beteiligten sehr niedrig. “Wenn alle Teilnehmer doppelt geimpft seien und das Ganze im Sommer draußen stattfinde, gehe das Risiko gegen null”, sagt Carsten Watzl.
ABER: Wenn von den geimpften Teilnehmern jemand im Haushalt mit Teil- und Ungeimpften zusammenlebt, ist das sofort wieder was anderes, denn sie könnten die Infektionen dann an die noch gefährdeten Haushaltsmitglieder weitergeben. Mit Delta häufen sich bereits die Berichte von infizierten Geimpften, das ist also eine reelle Gefahr.
Noch ein Punkt: Weil Geimpfte sich sicherer/geschützter fühlen, werden sie öfter auch größere Risiken eingehen als Ungeimpfte und damit einen Teil Ihres Schutzes statistisch wieder aufheben. Außerdem werden symptomatische Infektionen stärker reduziert als asymptomatische. Weil Geimpfte außerdem kaum mehr getestet werden, werden die asymptomatischen Infektionen bei Geimpften seltener entdeckt – die merken ja selber nix. Und damit ergibt sich wiederum ein höheres Risiko der Weitergabe, als man spontan denken würde, insbesondere wenn man sich die fabelhafte Wirkung der Impfungen auf unsere beständig sinkende bundesdeutsche Inzidenz anschaut.
Und wir dürfen nicht vergessen: Auch wenn es in der Summe besser wird, kann es für den Einzelnen noch schlimm werden. Aus individueller Sicht kann jede Infektion schwerwiegend oder tödlich verlaufen.
Modellierer Torsten Lehr
Gruppe 2: Die Teil-Geimpften
In Deutschland haben 20% der Menschen zumindest eine Impfung. Wie man in der o.g. Tabelle sehen kann, sind die zwar schon ein bisschen besser geschützt, aber eben nur zu 33% bzw. 50%.
Hinzu kommt, das es besonders ärgerlich wäre, sich 3 Wochen vor dem zweiten Impftermin noch eine Infektion einzuhandeln, nachdem man sich erfolgreich 15 lange Monate ohne Infektion durch die Pandemie gebracht hat.
Es sollten also für Teilgeimpfte die gleichen Regeln gelten wie für Ungeimpfte, der Unterschied ist nicht sehr groß.
Gruppe 3: Die Ungeimpften
Die Ungeimpften als aktuell größte Gruppe (knapp 50%) stehen den immer ansteckender werdenden Varianten – erst kam Alpha im Frühjahr, jetzt kommt Delta – weiterhin schutzlos gegenüber. Weil die (Teil-)Geimpften auch ansteckend sein können, werden sie auch noch für mehrere Monate kaum durch eine Herdenimmunität geschützt sein, wie man in UK sehen kann, wo schon viel mehr Menschen geimpft sind, und Delta trotzdem zu einer neuen Welle führt.
Wenn man bedenkt, dass wir durch die Bundestagswahl bis in den Herbst hinein in der Situation sein könnten, dass auch bei steigenden Infektionszahlen keine (oder zu späte) flächendeckenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung ergriffen werden, könnte es sich ergeben, dass in einer schnellen Welle fast alle Ungeimpften im Herbst in sehr kurzer Zeit infiziert sein würden.
Bei Geimpften und Genesenen, Kindern und Jugendlichen erzeugt dies voraussichtlich meist keine schweren Verläufe. Allerdings werden nahezu alle Nicht-Immunisierten durch die Welle ungefähr gleichzeitig infiziert. Im Modell führt das immer noch zu einer erheblichen Belastung der Kliniken. Es ist plausibel, dass diese Welle zum Ende der warmen Jahreszeit kommt. Sie kann aber auch früher einsetzen.
Modellierer Kai Nagel, TU Berlin
In meinem Modellrechnungen gibt es auch solche Szenarien. “Wer sich nicht impfen lässt, wird sich unweigerlich infizieren” in den nächsten 1-1,5 Jahren, sagt Prof. Drosten. Das könnte im Herbst auch noch schneller gehen.
Die Erwachsenen können sich dafür oder dagegen entscheiden. Aber wie schützen wir im Herbst die Kinder und Jugendlichen, die (noch) keine Impfung bekommen können/haben?
Also

Hallo Dirk,
Ich glaube, du hast einen Typo/Flüchtigkeitsfehler in der ersten Zeile. Du schreibst (Hervorhebung von mir):
> Aktuell sind 30% der Deutschen voll geimpft, 50% einmal geimpft und _20%_ nicht geimpft, darunter viele unter 16 Jahren und alle unter 12 Jahren.
Meinem Verständnis nach sind die 30% voll geimpften ein Subset der 50% einmal geimpften. So interpretiere ich das Impfdashboard [1], das sagt, dass momentan 50,6% _mindestens_ eine Impfdosis haben. Somit sind leider noch fast 50% gar nicht geimpft.
–Sebastian
[1] https://impfdashboard.de/
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Völlig richtig! Habe ich umgehend korrigiert!
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Hallo Dirk,
diese falsche Annahme findest sich später auch nochmal in etwas anderer Form:
Gruppe 2: Die Teil-Geimpften
Die größte Gruppe aktuell in Deutschland mit 50% (richtig wäre 20%) sind die Menschen, die bereits eine Impfung haben.
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fixed.
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