Der Trend der Fallzahlen hat sich wie erwartet wieder gedreht, das macht es nun möglich, mit dem Modell wieder etwas genauer auf die nächsten Wochen zu schauen.
Kurzfassung:
- Das Zeitfenster zum Impfen schließt sich: Wenn wir die Impfrate nicht noch um 10% bis November steigern kommt eine Winterwelle
- Im Dezember könnten Pandemie-Folgen das Niveau der 3. Welle übersteigen
- Die Welle der Ungeimpften zieht eine Welle der Geimpften hinter sich her
Einleitung
Im Laufe des Septembers ging die Inzidenz von 90 auf 66 runter, nicht nur für meine Modellrechnungen kam das überraschend. Seit ca. dem 23.9. geht es aber scheinbar wieder bergauf, was man so auch erwarten konnte, denn jetzt spielen zwei Faktoren eine immer stärker werdende Rolle, die den R-Wert erhöhen: Die Saisonalität und der schleichende Verlust des Schutzes vor Ansteckung der Impfungen. Weitere Lockerungen machen es sicher nicht besser.
Für die Saisonalität rechnen viele Modelle (auch mein Modell) mit einer Sinuskurve, die am 21.3. und 21.9. bei Null liegt und am 21.6. und 21.12. ihr Maximum mit ca. 30% Absenkung/Erhöhung des R-Werts hat. Das geht also jetzt erst los.
Beim Verlust der Impfwirkung gegen Ansteckung gibt es verschiedene Datensätze. Mein Modell rechnet mit einem Verlust von 0,5 Prozentpunkten pro Woche nach der 2. Impfung, d.h. 84% Schutz vor Ansteckung direkt nach der Impfung und z.B. 74% nach 20 Wochen (eher optimistische Annahme). Der Schutz vor schweren Verläufen oder Tod bleibt aber bei 95% in meinen Annahmen.
Wie man in der folgenden Grafik sieht, haben wir durch die Impfungen jetzt fast 10 Monate lang einen beständigen Anstieg des Schutzes der Impfungen erlebt (Gesamtwert für alle Altersgruppen: schwarze gestrichelte Linie). Aber jetzt kommt kaum mehr was dazu. Der zunehmende Verlust der Impfwirkung der früheren Impfungen ist jetzt etwa so groß wie die hinzukommende schützende Wirkung der neusten Impfungen. Booster-Impfungen würden helfen, sind aber hier noch nicht berücksichtigt.

5 Szenarien für den Rest des Jahres
Ich habe 5 Szenarien im Modell rechnen lassen, mit denen wir besser verstehen können, welche Aspekte welche Wirkung haben:

Alle 5 Szenarien schreiben die Basis-R-Werte der letzten 3 Wochen (als Maß für unser Verhalten) fort bis Ende des Jahres. Dann variiere ich einige Parameter und wir können folgendes erkennen:
- Szenario A (rot): Fortschreibung des Verhaltens und Impfrate 70% bis zum 1.11.
=> Wir würden in dieser Modellrechnung bis zum Jahresende bei unverändertem Verhalten/Regeln in eine fulminante Welle hineinlaufen - Szenario B (blau): wie A, aber ohne Ferieneffekt
=> Durch die Herbstferien dürften die Fallzahlen noch bis Ende Oktober eher seitwärts gehen, sonst würde sich die blau gepunktete Linie ergeben. - Szenario C (gelb): wie A, aber Impfrate 75% bis zum 1.11.
=> 5% mehr Impfrate würden nicht ausreichen, um die Winterwelle zu vermeiden - Szenario D (grün): wie A, aber Impfrate 80% bis zum 1.11.
=> Wenn wir bis Ende Oktober 80% Impfrate erreichen würden, würde dies im Modell ausreichen, die Welle zu brechen. Das wären stramme ca. 3% Impfungen pro Woche (im Mai hatten wir 4-5% pro Woche geschafft). - Szenario E (pink): wie A, aber ohne Berücksichtigung der Saisonalität
=> Diese Szenario soll zeigen wie “mächtig” die Saisonalität sind wird. Denn ohne sie würde die Pandemie praktisch “auslaufen”.
Was würden sich aus Szenario A an Auswirkungen ergeben?
Dass wir 75% bzw. gar 80% Impfrate bis zum 1.11. erreichen halte ich für unwahrscheinlich bzw. für ausgeschlossen. Das Zeit-Fenster in dem wir uns mit einer guten Impfkampagne aus der Winterwelle rausimpfen hätten können, ist praktisch abgelaufen, damit entfallen wohl Szenario C und D.
Damit bleibt Szenario A als die m.E. im Moment wahrscheinlichste Variante. Mit meinem Modell können wir nun berechnen, wie sich die Auswirkungen entwickeln werden – und sehen dabei dass die Inzidenz/Fallzahlen immernoch der wichtigste Wert ist, auf den wir schauen sollten:

Hier sieht man die weiteren Verläufe der Hospitalisierungen, Todesfälle, ITS-Zugänge und ITS-Belegung bis Ende des Jahres, die sich bei Szenario A ergeben würde. Die Graphen sind dabei so skaliert, dass die Maxima in der 3. Welle im April auf der gleichen Höhe liegen. In Rot sind jeweils die offiziellen historischen Metriken des RKI/DIVI eingezeichnet um die korrekte Validierung des Modells zu zeigen.
Es wird sichtbar, dass wir ca. Ende November bis Mitte Dezember wieder ähnliche hohe Pandemie-Folgen haben könnten wie in der 3. Welle im April (wenn, wie schon gesagt, wir unser Verhalten bzw. unsere Regeln nicht ändern würden).
Wie zuverlässig sind diese Vorhersagen?
Die folgende Grafik zeigt den tatsächlichen Verlauf der Inzidenz (schwarz) und die Vorhersagen, die das Modell für den jeweils zentralen Fall (=”Best Guess”) jeweils 2 und 4 Wochen in die Zukunft gemacht hatte. Der graue Bereich bezeichnet den Wertebereich aller meiner Szenarien, der mit 6 Wochen Vorlaufzeit vorherberechnet wurde (=”möglicher Ereignisraum”).

Man sieht, dass die 2-Wochen- und 4-Wochen-Vorhersagen ganz gut gepasst haben mit Ausnahme der Vorhersagen von Anfang September, da lag mein Modell wie fast alle anderen Modelle für 2-3 Wochen zu hoch. Man sieht aber auch, dass der Verlauf immer im Bereich der Bündel-Prognose gelegen hat. Damit scheint eine Abschätzung zumindest für die jeweils nächsten 4-6 Wochen plausibel möglich zu sein mit dem Modell.
Wird aus der Pandemie der Ungeimpften nun auch eine Pandemie der Geimpften?
In den vergangenen Wochen habe ich oft gelesen, dass wir eine “Pandemie der Ungeimpften” haben. Und das stimmt ja auch, nur etwa 10% der Patienten waren Geimpfte. Das scheint aber nicht so zu bleiben.
Ab November scheinen sich auch in der Gruppe der Geimpften sehr hohe Inzidenzen und in der Folge dann auch hohe Patientenzahlen zu entwickeln, wenn mein Modell recht haben sollte: Ab Mitte November steigen demnach auch die Inzidenzen bei den Geimpften über 100 (blaue Linie), die Welle der Ungeimpften zieht eine Welle der Geimpften hinter sich her (mit Szenario A).

Um zu validieren, ob diese Zahlen aus meinem Modell einen korrekten Bezug zur Realität haben, habe ich die wenigen Daten, die uns das RKI dazu gibt, mit meinen Modelldaten vergleichen.
Im Wochenbericht stellt des RKI jeweils die Zahlen der Impfdurchbrüche für die vorher vergangenen 4 Wochen zur Verfügung. Diese Werte sind hier in blau dargestellt, die orange Linie sind die Werte aus meinem Modell.

Es zeigt sich, dass meine Modell-Zahlen (zumindest bis auf die ITS-Belegung) sehr gut zu den Zahlen vom RKI passen, insb. wenn man dabei noch bedenkt, dass mein Modell sehr vereinfachte Berechnungsgrundlagen verwendet. In 2-3 Wochen wird sich das noch besser beurteilen lassen.
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