Modellupdate 1.11.2021: Was wäre die Wirkung einer Notbremse in einer der nächsten 4 Wochen?

Für dieses Modellupdate habe ich 4 Szenarien gerechnet und in eine Grafik eingezeichnet. Die Szenarien gehen davon aus, dass am 8.11., 15.11, 22.11, oder 29.11. eine drastische Notbremse gezogen wird (R-Wert Absenkung um 25%), weil die Anzahl der ITS-Patienten zu hoch wird.

Eine Notbremse am nächsten Montag 8.11. würde ab dem 15.11. anfangen auf die Inzidenz zu wirken und wir würden im Dezember in der Spitze ca. 5.000 ITS-Betten benötigen (lila Linien).

Kommt die Notbremse eine Woche später am 15.11. steigt die Inzidenz auf fast 400 und die Bettenzahl liegt am Ende der Woche vor Weihnachten bei fast 8.000 und ist noch steigend (rote Linie). Erst zum Jahresende wäre ein Peak bei fast 10.000 erreicht.

Eine Notbremse in der Woche des 22.11. geht der Anstieg der ITS Betten bis über Weihnachten hinaus und könnte danach noch die 15.000 Marke reißen.

Da wir bisher praktisch kaum mit Maßnahmen auf den Anstieg reagiert haben, weil wir die Booster-Impfungen verpennt haben und weil auch eine höhere Impfrate bis Jahresende die Welle nicht mehr brechen kann, wird es nun immer drängender und es werden immer heftigere Eingriffe nötig sein, um das Anwachsen den Neuinfektionen noch bremsen zu können. Das hat sich wohl auch nach über 1,5 Jahren Pandemie noch nicht rumgesprochen. Der WHO-Chef hat uns das schon im März 2020 ins Aufgabenbuch geschrieben:

Be fast, have no regrets. You must be the first mover. The virus will always get you if you don’t move quickly. If you need to be right before you move, you will never win, Perfection is the enemy of the good when it comes to emergency management. Speed trumps perfection. The problem in society we have at the moment is that everyone is afraid of making a mistake. Everyone is afraid of the consequence of error. But the greatest error is not to move. The greatest error is to be paralysed by the fear of failure.”

Michael J Ryan, Executive Director of WHO am 13.3.2020

Für heute hatte mein Modell letzte Woche eine Inzidenz von 147 vorhergesagt, tatsächlich sind es nun 158. Für nächsten Montag stehen laut Modell 180 an.

Anmerkung: Die Datumsangaben stehen jeweils für die Kalenderwoche, an deren Ende die gezeigten Werte erreicht werden.

Einige Hintergrund-Infos zu dieser Modellrechnung

Wenn man den Verlauf der Pandemie und deren Auswirkungen für die nächsten Wochen berechnen will, braucht man drei Dinge:

  • Ausgangsdaten, auf denen die Projektion basiert.
  • Eine Abschätzung wie sich der R-Wert entwickelt.
  • Formeln um aus den Inzidenzen die Patienten/Sterbezahlen zu berechnen.

1. Gute Ausgangsdaten, auf denen die Projektion basiert

Ein Modell verwendet die nach Altersgruppen aufgeschlüsselten Inzidenzen vom RKI bis letzte Woche und schreibt diese mit einem seit März entwickelten Formelsystem wochenweise weiter.

2. Eine Abschätzung wie sich der R-Wert entwickelt

Das ist tatsächlich “the most tricky bit” bei diesen Vorhersagen. Solange sich das Verhalten der Menschen nicht verändert (weil z.B. keine Veränderung der Maßnahmen durch die Regierungen entschieden werden), würde man erwarten, dass die Basis-R-Werte konstant sind, wenn man Effekte wie Ferien und Saisonalität mit einrechnet – was mein Modell macht. Trotzdem kommt es immer wieder zu Überraschungen wie im September, wie die R-Werte unerwartet deutlich runter gegangen sind. Auch der starke Anstieg im Oktober war in dieser Stärke nicht erwartet.

Also gehören hier auch Erfahrung und Fingerspitzengefühl (und Glück) dazu, um den weiteren Verlauf zu treffen. Außerdem verwendet man Unsicherheits-Intervalle, wo man die verwendeten R-Werte nach oben und nach unten variiert um den Bereich der möglichen Entwicklungen zu beschreiben. Dies ist in den Grafiken jeweils mit grauen Flächen markiert.

In der folgenden Grafik sieht man als graue Flächen jeweils den 6-Wochen-Vorhersage-Bereich der Modell-Verläufe, die ich in den letzten 4 Monaten gezeigt habe. Man sieht, dass die schwarze Linie bisher immer innerhalb dieses Bereichs gelegen hat. Die Modellrechnungen sind also zumindest besser als schätzen, raten oder hoffen.

3. Formeln um aus den Inzidenzen die Patienten/Sterbezahlen zu berechnen

Das seit März ständig weiterentwickelte Modell hat inzwischen eine hohe Genauigkeit in der Berechnung der Patientenzahlen aus dem Inzidenzverlauf, wie man in dieser Grafik sieht: Meine Modellwerte folgend den Werten vom RKI (schwarze Linien) sehr genau, insbesondere in den letzten 3 Monaten mit der Delta-Welle.

Also: Wenn meine Inzidenz-Prognose richtig ist, sind die sich ergebenden Patientenzahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Werte vom RKI ab einer Inzidenz von 400-500 nicht mehr mit meinen Modellzahlen zusammenpassen, weil unser Testkonzept an seine Grenzen kommt. Dann können wir nur noch an den Patientenzahlen sehen, ob mein Modell richtig ist.

Die Frage ist nun, wie sich die Inzidenz in den nächsten 2 Wochen weiterentwickelt. Wenn wir nächsten Montag eine Inzidenz um 180 sehen, dann liegt meine Modellrechnung richtig und die oben gezeigten Verläufe der ITS-Patienten wird sich mindestens so einstellen wie die lila Linie zeigt.

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG