Wir können alle jede wenigstens etwas positivere Nachricht gebrauchen, die wir bekommen können, nach den Nachrichten der letzten Tage. Die aktuellen Entwicklungen lassen die Modellrechnung ein bisschen besser aussehen, deswegen kommt doch früher als gedacht ein Modellrechnungs-Update.
Aus zwei Gründen sind die Aussichten zumindest ein bisschen besser geworden:
- Mit den neuesten Alters-Gruppen-Inzidenzen vom RKI vom Donnerstag konnte ich das Modell bei der Berechnung insbesondere der älteren Menschen genauer machen und es ergeben sich etwas niedrigere Fallzahlen in diesen Altersgruppen, was sofort eine Wirkung auf die Modellzahlen der Patienten und ITS-Belegung hat.
- Die Inzidenz am morgigen Montagmorgen wird um 500 liegen, die Modellvorhersage war 519, wir sind also einen Tick langsamer unterwegs als letzte Woche berechnet. Das hebelt die nächsten Wochen etwas herunter.
Wir müssen uns allerdings darüber im Klaren sein, dass diese Bremswirkung eine Mischung aus “echtem Bremsen” und Überlastungseffekten bei der Fallzahlen-Zählung ist. Gehen wir im weiteren mal optimistischer Weise davon aus, dass es sich hauptsächlich um eine echte Bremsung handelt. Erst die Zahlen der Verstorbenen in den nächsten Wochen werden uns verraten, wie echt die Fallzahlabsenkung war.
Mit diesen aktualisierten Ausgangszahlen habe ich drei neue Modellszenarien berechnet:
- Szenario B1: Kein koordinierter Lockdown, Bürger bremsen etwas
- Szenario B2: Wie B1, aber dann ein genereller 30% Lockdown ab 6.12. (wirkt ab 13.12.) für 3 Wochen (wirkt bis ins neue Jahr)
- Szenario B3: Bürger “Lockdown-chen”, irgendwie schaffen es die Menschen in Deutschland genügend zu bremsen, inklusive regionale Maßnahmen der Bundesländer, so dass wir bis fast in den Stand bremsen im Advent.
Durch das aktuelle Bremsen eröffnet sich die Möglichkeit, das Wachstum zum Stehen zu bringen, wenn wir den R-Wert noch um weitere 15-16% senken könnten. Szenario 3B könnte eintreten, wenn die aktuelle verzweifelte Kommunikation von Akademie der Wissenschaften (“dass hier ein sofortiges Gegensteuern dringend erforderlich ist.”), Lothar Wieler (“Als ob unser Leben davon abhänge“), Bundespräsidenten Steinmeier (»Wichtig ist, dass wir jetzt alle gemeinsam handeln«) und anderen dazu führen würde, dass sich auf breiter Front sehr viele Menschen nochmal 15-20% in ihren Kontakten einschränken. (Persönliche Anmerkung: Die Tatsache, dass DAS z.Zt. unsere beste Hoffnung ist, steht für mich für ein Politikversagen epischen Ausmaßes).
Die Inzidenzverläufe sehen dann so aus:

Die rote Linie zeigt, dass das aktuelle Worst-Case-Szenario B1 (also keine koordinierte Bremsaktion in Deutschland und nur wenig Hilfe durch die Bürger) etwas niedriger in der Spitze liegt als die Berechnungen von letzter Woche.
Der generelle Lockdown am 6.12. (türkis) bleibt beim Blick auf die erstarrte Politik ein theoretischer Verlauf zum jetzigen Zeitpunkt. Oder wachen die Damen und Herren doch noch auf?
Die blaue Linie würden wir erreichen, wenn sich massiv viele Menschen ab sofort am Bremsen beteiligen und deutlich ihre Kontakte senken. Besonders an den Wochenende ist die Variabilität der Kontakte zu hoch (siehe Tweet von Dirk Brockmann).
Was man deutlich sieht: Der einzige Weg zu einem schnellen Absenken der Fallzahlen, noch bis Ende des Jahres, führt nur über einen Lockdown. Alles andere zieht sich bis in den Februar hinein.
Das war’s dann leider auch schon mit den etwas besseren Nachrichten. Die weiterhin schlechten Nachrichten kommen von den prognostizierten ITS-Belegungen: Zwar meldet die DIVI aktuell 30% weniger ITS-Belegung als laut Modell zu erwarten wäre (durch Überlastungs-Effekte, siehe hier), aber auch wenn man das einrechnet werden wir in allen Szenarios sogar die Anzahl der betreibbaren Betten überschreiten. Platz für andere Behandlungsgründe auf ITS (Unfall, Infarkt, usw.) wäre dann nicht.

Der weitere steil ansteigende Verlauf der ITS-Belegung der nächsten 2-3 Wochen ist durch die vor dem heutigen erfolgten Ansteckungen weitreichend festgelegt, nichts hält das mehr auf. Wir können nur noch den Verlauf ab ca. Mitte Dezember beeinflussen, die Überlastung der Kliniken bleibt im Modell unvermeidlich.
Hier noch die Gesamtzahlen der Patienten und Toten für die drei Szenarien:

Irgendwo zwischen 28.000 und 50.000 Toten würden wir rauskommen bis April, sagt das Modell.
Übrigens: Hätten wir morgen, am 29.11. einen 30% Lockdown gemacht, wären es nur ca. 19.000 Tote gewesen, eine Verzögerung um eine Woche kostet also z.Zt. ca. 9.000 Menschen pro Woche das Leben.
»Halten wir uns an die Regeln, reduzieren wir noch einmal unsere Kontakte.« …. »damit Schulen und Kitas nicht wieder schließen, damit wir das öffentliche Leben nicht wieder vollständig herunterfahren müssen«
Bundespräsident Franz Walter Steinmeier am 28.11.2021
Leute, bitte haltet Euch fern von anderen Menschen, insbesondere von Menschenansammlungen! Verlasst Euch nicht auf Schnelltests bei Geimpften, das reicht bei unseren hohen Inzidenzen nicht mehr als Schutzschild aus. Immer Maske auf, und zwar FFP2! OP-Maske reicht nicht mehr.
Stay the F**K at home!
PS: Alle gezeigten Modellrechnungen beinhalten natürlich noch keine Berücksichtigung von Omikron, weil es dafür keinerlei brauchbares Datenmaterial gibt. Das wird frühestens in 2-3 Wochen soweit sein, dass man dazu was sagen kann. Unser akutes, brennendes Problem ist und bleibt erstmal die 4. Welle mit Delta.
Annahmen, Eingangsdaten
Weitere Annahmen/Informationen:
- Alle Berechnungen wurden mit Version 26 meines Modells erstellt.
- Bis Jahresende wird eine Zweit-Impfrate von 70% angenommen (Impfraten s.u.).
- Ein Nachlassen der Impfwirkung (-10 Prozent-Punkte pro 10 Wochen, d.h. von 84% Schutz gegen Infektion kurz nach der 2. Impfung auf 74% 10 Wochen später, für 30 Wochen)
- Neue Mutanten wie z.B. AY.4.2. (10% höhere Ansteckungsrate) wurden nicht berücksichtigt
- Bremsende Ferienwirkungen der Herbst- und Weihnachtsferien sind eingerechnet
- Eine Beschreibung einer älteren Version des Modells gibt es hier, das muss ich mal aktualisieren.
- Dass sich die Case-Fatality-Rates deutlich erhöhen bei Überlastung des Gesundheits-Systems wird nicht berücksichtigt.
- Ausgang der Welle wird nicht modelliert, R Wert bleibt unten bis Frühjahr
Weitere Modellinfos im Artikel vom Montag.
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