Kurzfassung
- Das Volk hat Omikron schon ein Stück weit ausgebremst
- Mit freiwilliger (oder unfreiwilliger) Kontaktreduktion könnte es klappen, dass die Omikron Welle in den Kliniken nur in etwa so schlimm wird wie die Delta-Welle im November
- Aber der Personalausfall durch Omikron liegt wahrscheinlich deutlich höher als in allen Wellen bisher
- Es gibt noch viele Unsicherheiten für die nächsten Wochen
Wichtig: Modellrechnungen geben uns die Möglichkeit ein bisschen in die Zukunft zu schauen – aber dies sind keine Prognosen.
Die Datenbasis, auf der die folgenden Modellrechnungen basieren, ist leider weiterhin unvollständig. Das hier ist das beste was wir am heutigen Tage haben, mit neuen Studienergebnissen können sich in wenigen Tagen die Ergebnisse auch wieder ändern (Leider muss ich das immer noch dazuschreiben…).
Einleitung
Der Blick in andere Länder sagt uns: Auch bei uns könnte wird eine Welle kommen:

In Deutschland befinden wir uns gerade am Knickpunkt nach oben, wir sind also etwas hinterher. Und das hat nicht nur mit Glück zu tun, denke ich.
In Deutschland arbeitet die Mehrheit der Bevölkerung mit!
Dass es bei uns später losgeht mit dem Omikron-Wachstum ist m.E. die Folge unserer Verhaltensänderungen und Maßnahmen, mit denen wir seit Ende November auch schon die Delta-Welle gebrochen hatten und die jetzt auch Omikron ausbremsen. Die Mehrheit des Volks hilft mit, das ist gut sichtbar im Kontakte Monitor: Je niedriger die grüne Linie liegt, um so weniger verschiedene Menschen treffen sich. Das hilft!

Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Bevölkerung sehr deutlich signalisiert, dass sie beim Stoppen der Pandemie aktiv mithelfen will. 20 Millionen Menschen haben sich im Dezember eine Impfung geholt (1/2/3): was für ein Statement, während andernorts ein paar Leute “spazieren gehen” und leider dafür viel mehr Medienecho bekommen.
Omikron wuchs von Anfang an in Deutschland aufgrund von schon stattfindenden Kontaktreduzierungen mit 4 Tagen Verdopplungszeit und damit langsamer als z.B. und UK oder Dänemark. Beide Länder hatten höhere Impfquoten und hatten schon viele Einschränkungen abgeschafft – was mit einem Virus, der Geimpfte ansteckt, zum Nachteil wurde.
Auch über Weihnachten haben sich m.E. viele Menschen in Deutschland mit ihren Kontakten beschränkt, und auch das hat zur Folge, das die Omikron-Welle bei uns etwas später startet als in anderen Ländern. Eine Gemeinschaftsleistung!
Wenn wir schon so eine Wirkung hatten: Sind wir also vielleicht gar nicht mal so weit von dem Punkt weg, an dem wir Omikron mit ein paar “Smart Moves” ganz ausbremsen könnten, mit ein paar gut koordinierten Maßnahmen, ohne den ganz “harten Lockdown”?
Drei plus zwei Szenarien
Ich habe drei plus 2 Szenarien entworfen:
- Szenario 0 “Weiter so”: Hier würden wir unser aktuelles Verhalten einfach beibehalten (was wenig realistisch ist, aber uns einen Worst-Case-Fall zeigt).
- Szenario 1 “Bürgerlockdown”: Die Bürger werden von sich aus bremsen (bzw. werden bremsen müssen, weil sie schlicht krank sind).
- Szenario 2 “verzögerter Lockdown”: Die Politik entscheidet sich mit koordinierten Bremsmaßnahmen dem Anwachsen entgegen zu wirken, aber erst wenn sich erhebliche Auswirkungen ergeben haben (z.B. mehr als 5.000 Hospitalisierungen/Woche).
Für Szenario 1 und 2 habe ich je eine optimistische und eine pessimistische Variante gerechnet, die die Rate der sich aus den Fallzahlen ergebenden Patienten variiert, denn wir wissen noch nicht, wie viel weniger Omikron krank macht als Delta (s.u.).
Techtalk: Aktuelle Ergänzungen am Modell
Alle 2-3 Tage werden im Moment neue Studienergebnisse veröffentlicht, die unser Verständnis von Omikron immer besser machen. Vieles ist noch im Unklaren, aber folgende Punkte habe ich seit der letzten Modellrechnung ins Modell übernommen, was – zusammen mit dem oben beschriebenen langsameren Start von Omikron – zu weniger schlechten Aussichten führt als bisher:
Jetzt wird es etwas technisch, muss man nicht alles gelesen haben :-).
- Die Generationszeit von Omikron ist mit 2,2-2,5 Tagen wesentlich kürzer als die von Delta (4-4,5 Tage). Das bedeutet, dass man nach Omikron-Infektion schneller ansteckend ist und die nächste Folge-Infektion schon nach 2,5 Tagen selbst wieder ansteckend ist, während das bei Delta ca. 4 Tage gedauert hat (Quelle). Diese Beschleunigung erklärt das schnelle Wachstum. Gleichzeitig scheint aber die R0-Zahl, also wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, nicht größer zu sein. Das Gute daran: Kontaktbeschränkungen haben eine wesentlich stärkere Wirkung, wir könnten also mit weniger starken Maßnahmen als bei Delta das Wachstum ausbremsen. (Nachteil: Schnelltests sind weniger zuverlässig).
- Es zeichnet sich ab, dass die Anzahl der Hospitalisierungen und schweren Verläufe bei Omikron niedriger ist als bei Delta, und zwar aus 2 Gründen:
- #1: Die Patientenzahlen sinken zum einen, weil der Anteil der Geimpften an den Infektionen größer ist als bisher und diese durch Impfung geschützt sind => statistisch ergibt sich dadurch ein Absinken der Hospitalisierungsquote. Dieser Effekt lässt sich im Modell anhand der Impfrate gut berechnen.
- #2: Omikron scheint weniger krank zu machen, was plausibel erscheint, denn Omikron ist genetisch näher an Alpha dran als an Delta und hat nicht alle stärker krankmachenden Eigenschaften von Delta. Für die Modellierung brauche ich hier eine Zahl: Leider gibt es dazu noch ganz unterschiedliche Werte, von –20% (Prof. Watzl), –24% (Prof. Drosten/Imperial Studie) bis –60% (UKHSA Studie) Reduktion. Ich verwende -50% als optimistische und -25% als pessimistische Variante (jeweils als Reduktion gegenüber Delta).
- Zur Wirkung der Zweitimpfung und der Booster gegen Omikron-Infektion gibt es seit den letzten Modellrechnungen keine Neuigkeiten (75% Schutz nach Booster, 55%/45% nach 5/10 Wochen).
- Zum Jahresende können wir von einem 50% Omikron-Anteil der Infektionen aus gehen (Quelle).
Mit 2,4 Tagen Generationszeit und R0Omikron=R0Delta kann ich die Entwicklung von Omikron in Deutschland gut nachbilden im Modell:

Ergebnisse der Modellrechnungen
In der aktuellen Modellrechnung ergibt sich für die Inzidenz in Deutschland folgender Verlauf:

Mit einem staatlichen Eingriff um den 17.1.2022 (ausgelöst von 5.000 Hospitalisierungen/Woche) könnten wir die Gesamtinzidenz unter 800 halten. Wenn das Volk die Arbeit alleine machen muss, würden sich Inzidenzen über 1.000 ergeben. Wenn wir nicht dagegenhalten (oder gar lockern), könnte sich Omikron auf Inzidenzwerte deutlich über 2.000 erheben, ähnlich wie wir das in anderen Ländern bereits sehen (siehe oben).
Der Verlauf der COVID-Hospitalisierungen sieht so aus:

Die gestrichelte schwarze Linie zeigt die Anzahl der wöchentlichen Hospitalisierungen, die das Modell bei optimaler Versorgung erwartet hätte. (siehe auch Anhang 1 unten). Durch Überlastung liegt die durchgezogene schwarze Linie der Werte vom RKI aber darunter. Jetzt treffen sich die beiden Linien wieder. Die gepunktete grüne und orange Linie zeigen die pessimistischere Variante (Omikron macht stärker krank).
Die ITS-Belegung mit COVID-Patienten sieht im Modell wie folgt aus:

Auch hier lag im November die Anzahl der bei optimaler Versorgung zu erwartenden Betten deutlich höher als von DIVI gemeldet (durch die Überlastung mit der Folge einer höheren Anzahl Verstorbener, siehe Anhang 1). Die Werte laufen jetzt erst wieder zusammen.
Insgesamt liegen alle Modellrechnungen “mit Bremsen” beim Höchstwert der Patienten und ITS-Bettenzahlen unterhalb der Welle im November. Nur ohne Bremsen geht es deutlich darüber hinaus.
Anders sieht es bei der Anzahl der Personen aus, die durch Erkrankung und/oder Quarantäne ausfallen (wogegen die Impfung viel weniger schützt):

Hier ergibt sich im Modell eine viel höhere Belastung der Gesellschaft als in allen Wellen zuvor – in allen Szenarien.
Fazit
- Booster und Bremsen der Bevölkerung seit November sowie diverse Delta-Maßnahmen haben Omikron (noch) ausgebremst, damit ist Deutschland etwas “hinterher”. Wir können uns bei den Nachbarn vorab anschauen, was auf uns zukommt. Aber die Welle kommt auch zu uns – wenn wir nichts tun.
- Dabei ist das genaue Startniveau Deutschlands für diese Welle unklar durch das vielerorts dysfunktionale Meldesystem über die Feiertage (“Was für eine Blamage” schreibt die SZ). Erst nach dem 10.1.2022 erwarte ich wieder belastbare Inzidenzwerte.
- Der weiterer Verlauf der Fallzahlenkurve ist noch unklar, auch weil wir den Ausgangspunkt nur ungenau kennen. Mein oben gezeigten Modellrechnungen zeigen nur einige der Möglichkeiten von dem was kommen könnte.
- Auch die entstehende Belastung für das Gesundheitssystem bleibt immer noch unklar, die Wellen-Spitzen liegen um Faktor 2-3 rauf oder runter, das werden wir erst in 1-2 Wochen genauer wissen.
- Für einige Wochen werden Ausfälle von vielen Bürgern durch hohe Infektionszahlen stattfinden.
- Longcovid (>10%) wird zu wenig beachtet: Wenn sich Millionen Menschen infizieren wird dies erhebliche Probleme nach sich ziehen (u.a. Reha/Spezialkliniken usw.)
Trotz Unklarheit zum Schutz der Bevölkerung jetzt schon Bremsmaßnahmen zu beschließen, auch ohne bereits stattfindende Eskalation, wäre klug und “gute Führung” für ein Land. Wie immer: Je später Maßnahmen kommen, um so “härter” und “länger” müssen diese sein. Auch bei Omikron.
Anhang 1: Überlastung führt zu erhöhter Sterblichkeit
Die folgenden vier Kurven zeigen die Modellergebnisse für die Zahlen der Patienten und der Verstorbenen im Vergleich der Modelldaten mit den Daten vom RKI bzw. DIVI.
Wir haben aus 3 Wellen die Erfahrung gemacht, dass ab ca. 10.000 COVID-Hospitalisierungen und ab ca. 5000 COVID-ITS-Betten die Patientenzahlen unter den bei optimaler Versorgung im Modell zu erwartenden Werten liegen. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Verstorbenen über die im Modell erwarteten Werte. Also: Die Patienten-Sterblichkeit steigt. Statistiken zur DE-weiten Übersterblichkeit deuten an, dass dieser Effekt noch stärker sein könnte als hier gezeigt.

Annahmen/Quellen
- Alle Berechnungen wurden mit Version 33 meines Modells erstellt.
- verwendete Impfraten siehe Twitter-Thread über Booster-Wirkung.
- Eine Beschreibung einer älteren Version des Modells gibt es hier, das muss ich mal aktualisieren. Auch dieser Artikel enthält noch Infos zum Modell.
- Dass sich die Case-Fatality-Rates deutlich erhöhen bei Überlastung des Gesundheits-Systems wird nicht berücksichtigt.
- Ausgang der Welle wurde nicht modelliert, R Wert bleibt unten bis Frühjahr
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