Corona: Wir dürfen nicht ganz kurz vor dem rettenden Ufer aufhören zu schwimmen!

Aktuell reitet Deutschland im Galopp auf eine Riesenwelle der Corona-Pandemie zu. Jetzt nichts zu tun ist praktisch ausgeschlossen aus meiner Sicht. Dabei sehen wir die Wirkung der Impfungen quasi schon als das rettende Ufer und sind nur Wochen davon entfernt!

Es muss nochmal ein gemeinsamer Kraftakt her. Für ein paar Wochen. Aber was können wir denn tun? Und wie gross ist dieser Kraftakt?

Wie wir anhand von Berechnungen mit meinem Prognose-Modell sehen werden, sind wir viel näher am rettenden Ufer als meines Erachtens viele denken. Wir dürfen doch nicht kurz vor dem Erfolg aufhören zu schwimmen!

Wichtig: Es folgen Prognosen aus einer Modellrechnung. Wie bei allen Modellrechnungen gehe ich dabei von Annahmen aus, mit denen ich in die Zukunft rechne. Meine Annahmen sind dokumentiert und sind mein “best effort”, ich kann damit aber auch falsch liegen. Ich bitte um Feedback, wenn jemand mit anderer Gedankenkette zu anderen Annahmen kommen würde.

Was passiert, wenn wir jetzt nichts tun

Mit den aktuellen Einschränkungen/Lockerungen sehen die nächsten 2 Monate in meinem Vorhersage-Modell so aus (eine gewissen Abbremsung durch die Ferien ist bereits eingerechnet):

Wir laufen in eine riesige Welle hinein, die dann im Juni durch die Wirkung der Impfungen und einen Saisonalitäts-Effekt endlich gebrochen wird. In der Spitze (ca. Anfang Mai) könnten wir bei 100.000 Neuinfektionen am Tag liegen.

Die 3. Welle würde in den Intensivstationen 4-5 mal so viele Patienten verursachen wie in der 2. Welle – das ist wohl kaum vorstellbar. Der Großteil der Patienten wäre zwischen 50 und 75 Jahren alt, die noch nicht geimpft sind.

Die Anzahl der Verstorbenen pro Woche wäre in der 3. Welle fast so hoch wie in der 2. Welle, nur dass die Opfer viel jünger sind (Schwerpunkt 60-79). Dass durch die extreme Überlastung des Gesundheitssystems die Sterberaten höher liegen würden, wird hier noch gar nicht eingerechnet.

Sollte noch jemand gerade noch an Lockerungen denken: Das würde diese drei Kurven alle nur noch höher und steiler machen!

Also, was tun?

Aus meiner Sicht dürfen wir das als Gesellschaft nicht zulassen. Wollen wir so kurz vor den rettenden Impfungen aufgeben, nachdem wir seit 54 Wochen mit mehr oder weniger Einschränkungen leben? Also was können wir tun?

Unser Problem dabei ist, dass uns die Zeit davon rennt. Jeder Lösungs-Ansatz, der die oben gezeigten Kurven tatsächlich noch erheblich eindämmen soll, muss in den nächsten 14 Tagen (besser noch 7 Tagen) entschieden und umgesetzt werden. Jeder Tag später macht es schlimmer. Dann dauert es noch mind. 1 Woche, bis wir die Wirkung auch tatsächlich in den Neuninfektionszahlen sehen.

Und dieser Lösungsansatz muss eine schnelle und erhebliche Wirkung auf die Ansteckungsrate und damit den R-Wert haben.

Um wieviel muss denn der R-Wert runter?

Ich habe das Modell fünf mal laufen lassen und dabei den R-Wert ab 12.4.2021 um 0.1, 0.15, 0.2 und 0.3 abgesenkt. Mit Maßnahmenstart am Ostermontag setzt 7 Tage später am 12.4.2021 die Wirkung ein.

Das Ergebnis sieht so aus:

Wenn wir den R-Wert auch nur um 0,15 absenken würden, hätten wir das schlimmste verhindert (3. Welle auf Intensivstationen ca. 50% über der 2. Welle) und wären Ende Juni bei einer Ziel-Inzidenz von 10 (dann weiter mit NoCovid-Strategie). Bei einer Absenkung um 0,2 gäbe es nicht mal mehr ein “Überschwingen” und Inzidenz 10 wäre 1-2 Wochen früher zu sehen.

Eine Absenkung von 0,3 wäre super, die Inzidenzzahlen stürzen regelrecht ab! Ob so eine Umsetzung realistisch ist kann jeder für sich selbst entscheiden.

Alternativ: Wenn wir eine Woche früher um z.B. 0,15 absenken, liegen die Höchstwerte der Inzidenz um 15% niedriger und wir sind auch eine Woche früher “fertig”.

Echt, nur 0,15-2?

Das ist eigentlich gar nicht mehr viel, im Vergleich zu all den mehr oder weniger nervenden und belastenden Entbehrungen, mit denen wir seit einem Jahr leben.

Die Impfungen sind unsere Rettung, aber die Wirkung der Impfungen auf die Ausbreitung setzt eben erst so richtig ab Mai ein! Bis dahin müssen wir noch durchhalten! Wie sind so kurz davor!

Woher kommen -0,15 bis -0,2 beim R-Wert?

Aus meiner Sicht kann eine “fulminante Test-Strategie” nach den Osterferien diese Wirkung nicht liefern. Test-Strategien bremsen zwar die weitere Ausbreitung, aber sie verhindern Neuansteckungen nicht. Und: Glaubt denn wirklich jemand, dass wir übernächste Woche schon zig Millionen Bundesbürger 2x pro Woche testen können? Das kommt also erstens zu spät und wird zweitens nicht ausreichend (das ist meine persönliche Einschätzung). Bisher ist unsere Umsetzung von Maßnahmen mit hohen Reichweiten auch nicht wirklich gut. Alleine aus Vorsicht dürfen wir uns da nicht dran festhalten.

Wenn man sich die Berechnungen der Wissenschaftler anschaut, müssen wir an die beiden letzten großen verbleibenden Ansteckungs-Herde ran: Büros und Schulen, beide tragen je ca. 0,2 zum R-Wert bei. Hier sitzen Menschen für Stunden in einem Raum zusammen, mehr oder oft weniger gut durch Hygiene-Konzepte vor Ansteckung geschützt.

In den Schulen herrscht sowieso schon vielfach Teilunterricht, also ist das Potential bei Umstellen auf 100% Distanz-Unterricht wohl eher nur noch die Hälfte, also -0,1. Das reicht nicht aus.

Also: ohne die -0,2 aus den Büros wird es nicht gehen: Wie kommen wir da dran? Bringt eine Home-Office-Pflicht genug?

Ob das dann reicht? Ich bin dafür kein Experte. Vielleicht gibt es noch andere Maßnahmen, die den R-Wert um 0,1 bis 0,2 senken. Dann sollten wir diese umsetzen, und zwar schnell.

Was man aber wohl sicher sagen kann: nach 2 Wochen sind wir mit der 3. Welle nicht fertig.

Die Politiker, die jetzt einen zu diesen Berechnungen passenden Maßnahmen-Katalog (und Ausgleichs-Katalog für die Kollateralschäden des Lockdowns) entscheiden müssen, sind um ihren Job wahrlich nicht zu beneiden.

Nachtrag: Vergleich meines Modells zu neuen Modelldaten der DIVI

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG

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