Modellrechnungen: Ausblick auf die nächsten 4-8 Wochen

Kurzüberblick

  • Seit der letzten Modellrechnung sind die Aussichten schlechter geworden.
  • Im zentralen Szenario würde es Ende Februar bis Inzidenz 3.600 gehen und im Q1 würden ca. 20 Mio Menschen aller Altersgruppen infiziert.
  • Die Welle schlägt in der Modellrechnung in den Krankenhäusern wesentlich höher ein als die Delta-Welle
  • Datenlage weiterhin ziemlich unsicher
Graphen kommen weiter unten in groß!

Einleitung

Die letzte und diese Woche sind für das Modellieren der nächsten Wochen entscheidend wichtig. Dabei gibt es 3 Probleme:

  1. Problem: Wir erleben gerade die Tage an denen der Messwert “Inzidenz” bzw “Fallzahlen” in den Wolken, im Nebel verschwindet und wertlos wird. Zum einen weil die Labore überlastet sind und zum Anderen weil deswegen die Teststrategie geändert wird. Unser wichtigster Frühindikator für den weiteren Verlauf und die sich in den 1-3 Folgewochen ergebende Belastung des Gesundheitssystems geht verloren. Ab jetzt können wir nur noch auf die nächsten, nachlaufenden Indikatoren schauen, die Hospitalisierungen und die ITS-Belegung (daraus können wir dann ggf. die Inzidenz wieder zurückrechnen).
  2. Problem: Nach dem Meldenebel um die Feiertage müssen wir jetzt unsere Modelle kalibrieren auf der Basis von nur 2 Wochen eher wackeligen Fallzahlen-Daten und den sich daraus ergebenden Hospitalisierungsdaten. Denn Omikron macht anders krank als Delta.
  3. Problem: Mit der Omikron-Untervariante BA.2 kommt gerade – während wir noch in der BA.1 Welle sind – noch eine weitere Welle auf, die den weiteren Verlauf in den nächsten Wochen mitbestimmen wird.

Das ist alles andere als ideal um stabile Modellrechnungen für die nächsten Wochen zu machen. Die Politik scheint sich ja sehr sicher zu sein, dass das alles irgendwie noch gut geht – ist mir ein Rätsel wie man auf dieser Basis da irgendeine Sicherheit haben kann und mal eben zu dem Schluss kommt, das aktuell keine Änderungen nötig sind, oder dass es gar Zeit für Lockerungen ist. Welche Konsequenzen man da bereit ist in Kauf zu nehmen, werden wir gleich sehen.

Hinweis für Modellagnostilker: Was folgt sind Modell-Szenarien, die so kommen könnten, aber nicht müssen. Hier wird versucht mit Mathematik und Datenanalyse ein mehr-als-Raten-Blick in die Zukunft zu entwickeln. Wer mit diesen sehr unterschiedlichen und unsicheren Szenarien für die Zukunft nicht gut zurecht kommt, der sucht sich bitte etwas anderes zu lesen.

Schauen wir uns das im Einzelnen an. Die folgende Modellbetrachtung basiert auf mehreren Arbeitsschritten:

  1. Zuerst brauchen wir mehrere modellierten Inzidenz/Fallzahlen-Verläufe, die jeweils auf unterschiedlichen Annahmen beruhen und aus denen sich alles weitere ergibt.
  2. Dann müssen wir unsere Berechnung der Belastung der Kliniken kalibrieren mit den bisher verfügbaren Daten.
  3. Daraus ergeben sich dann verschiedene Modellierungen für die Belastung der Kliniken und Intensivstationen.

Weiterer Verlauf der Fallzahlen

Wie schon erwähnt wächst unterhalb der aktuellen BA.1-Welle noch eine weitere Welle mit BA.2. Diese Untervariante verbreitet sich noch schneller als BA.1 und hat in Dänemark bereits letzte Woche die Mehrheit der Infektionen ausgemacht (was wir jetzt erst wissen, weil die Sequenzierung der Proben so lange gedauert hat). Der Anteil an den Infektionen in Deutschland liegt in dieser Woche bei ca. 5% und verdoppelt sich alle 7 Tage.

Wenn ich mit den vorliegenden Daten eine neue Mutation in mein Modell einbaue, die sich ansonsten wie Omikron verhält, dann muss ich den R-Wert für BA.2 um 15% höher setzen als bei BA.1. Dann folgt mein Modell den Zahlen vom RKI sehr genau:

Nun kommt noch die BA.1 Welle hinzu und der Verlauf der Inzidenz in den nächsten Wochen sähe irgendwie so aus oder so ähnlich (Bitte immer im Hinterkopf halten: Wir können schon in dieser Woche die Fallzahlen nicht mehr richtig zählen, die hier gezeigten Inzidenzen wird das RKI so niemals melden):

Die obere Grafik ist eine Darstellung auf der Log-Skala, damit man den Ablauf der Wellen besser sehen kann. Die untere Darstellung zeigt die Gesamtinzidenz und wie sich diese aus den Varianten zusammensetzt. Damit haben für die weiteren Überlegungen unser “zentrales Szenario”.

Eine Frage steht bei BA.2 noch im Raum: Es gibt Berichte über Menschen, die kurz vorher BA.1 hatten und dann auch noch an BA.2 erkrankt sind. Das würde bedeuten, dass eine Infektionen mit einem der beiden nicht vor einer Infektion mit dem anderen schützt. Die vielen Millionen Menschen, die sich mit BA.1 angesteckt hatten wären nicht (oder nur teilweise?) geschützt?

Wenn eine BA.1 Infektion nicht vor einer BA.2 Infektion schützt, dann müßten sich die Menschen für beide Varianten eine Immunität erwerben, d.h. die beiden Wellen würden sich aufeinanderstapeln.

Ich habe das hier mal für 50% Kreuzimmunität berechnet, da steigt der Wellenpeak von 3.600 auf 4.500. Das ist ein Bad-Case-Szenario.

Da wir hierzu noch keine belastbaren Informationen haben, gehe ich bis auf weiteres davon aus, dass die Kreuzimmunität vollständig ist.

Szenarien für die Inzidenz

Wenn ich nun drei Szenarien berechne, bei denen ich die R-Werte (als Maß für unser Verhalten) pessimistisch und optimistisch variiere und wobei ich davon ausgehe, dass die Menschen bei steigenden Inzidenzen ihr Verhalten von selbst ein stückweit anpassen, dann kommen diese drei Inzidenzverläufe heraus (mit BA.1 und BA.2 berechnet):

Im zentralen Szenario geht es bis Inzidenz 3.600 Ende Februar und im Q1 werden ca. 20 Mio Menschen aller Altersgruppen infiziert.

COVID-Hospitalisierungen

Mit Omikron scheint die Belastung der Normalstationen das größte Problem zu werden. Für die COVID-Hospitalisierungen kommt die folgende Kurve heraus, wobei ich hier davon ausgehe, dass Omikron ca. 70% weniger krank macht als Delta:

Warum -70%? Weil ich verschiedene Prozentwerte mit dem zentralen Szenario durchgerechnet habe und die 70% Linie am besten zu den bisherigen Werten von RKI und DGINA Notaufnahme Ampel passt:

Hier habe ich die Hospitalisierungsdaten vom RKI und von meinem Modell nochmals nach Alter aufgeschlüsselt und da sieht man, dass das Modell sehr nah an den Kurven des RKI liegt – außer in den Wellen mit Überlastung des Gesundheitssystems (Q1/2021 und Q4/2021):

COVID-ITS-Belegung

Für die COVID-ITS-Belegung bekomme ich, unter der Annahme, dass Omikron 80% weniger ITS-Patienten verursacht, folgende Kurve.

Warum -80%? Weil ich nach dem Lesen der verschiedenen Berichte damit rechne, dass es nochmals relativ weniger ITS-Patienten als Patienten auf Normalstation geben wird. Wirklich wissen werden wir das erst in 1-2 Wochen anhand der sich bis dahin zeigenden DIVI-ITS-Belegung. Das ist also noch relativ unsicher und wahrscheinlich zu optimistisch.

Erkrankte Personen

Wenn man aus den Fallzahlen ableitet, wieviele Menschen erkrankt oder in Quarantäne sind oder mit Longcovid ausfallen, dann sieht das so aus (Inzidenz 3600 bedeutet, dass in einer Woche 3 Mio Menschen infiziert werden):

Da wären Anfang März phasenweise bis zu ein Zehntel des Landes “weg” (im Q1 wären es 20 Mio Infektionen), das setzt sich wie folgt aus den Fallzahlen zusammen und berücksichtigt keine Dunkelziffer:

  • Im Krankenhaus (ca. 4%)
  • Schwer erkrankt (ca. 16%)
  • Symptomatisch, mittel/leicht (ca. 60%)
  • Asymptomatisch (ca. 20%)
  • LongCovid (10% aus 3 Monaten)

Verstorbene

Auch für die Todesfälle habe ich damit gerechnet, dass Omikron 80% weniger Tote verursacht, und da kommt diese Kurve heraus:

Genauso wie die vom Modell berechneten Anzahl der Patienten in den Wellen mit Überlastung zu hoch sind, berechnet das Modell die Anzahl der Toten in Belastungen zu niedrig: Die sinkende Versorgungsqualität (weniger Patienten können behandelt werden) läßt relativ mehr Menschen sterben.

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG