Countdown zum Lockdown: 4 Szenarien für die nächsten 4 Wochen

Wenn man sich das aktuelle schnelle Ansteigen der Fallzahlen anschaut – wir liegen jetzt jeden Wochentag um 30% über der Vorwoche – und ein bisschen ein Gefühl hat für exponentielles Wachstum, dann kommt man schnell zu der Erkenntnis: So kann das nicht lange weitergehen!

Wir impfen zwar schon, und viele potentielle Risiko-Patienten sind geimpft oder kommen in den nächsten Wochen dran, aber der Großteil der Bevölkerung ist eben noch nicht geimpft. Da die Jüngeren eben auch eine Risiko für schwere Verläufe und Todesfälle haben, das größer null ist, bleiben große Infektionswellen weiterhin ein Problem für unsere Gesellschaft.

Sicher ist nur, dass in den nächsten Tagen Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber: Für welchen Weg wird sich die Politik entscheiden? Schauen wir uns mal an, was kommen könnte.

Hinweis zu den Zahlen aus einem Modell

Bitte immer im Kopf behalten, dass das hier Modellrechnungen sind, mit in der Zukunft stetig steigenden Unsicherheiten. Für die nächsten 4 Wochen dürften die gezeigten Zahlen in einem Korridor von -10% bis -50% verlässlich sein, sind also eher optimistisch (-50% würde bedeuten, dass ich die Hälfte dessen vorhergesagt habe, was dann kam). Daher sollte man nicht so sehr auf die absoluten Zahlen schauen. Aber die gezeigten Trends zeigen auf, welchen Risiken wir uns aussetzen.

Da keiner tatsächlich vorhersagen kann, was passiert, würden wir auch sehr gut daran tun, uns für Zukunfts-Varianten zu entscheiden, die noch viel Puffer nach oben haben. Ein “größerer Einschlag” von einer der anderen Mutation als B.1.1.7 (P1 ist nochmals wesentlich ansteckender) in den nächsten 2-3 Monaten könnte die Zahlen auch schnell noch ganz viel schlechter aussehen lassen.

4 Szenarien für die nächsten 4 Wochen

Mit meinem Prognose-Modell habe ich vier Szenarien durchgerechnet, die für die nächsten 4 Wochen denkbar sein könnten:

  • Szenario A: Kein Lockdown
    • Was passiert, wenn wir einfach so weitermachen wie diese Woche?
  • Szenario B: “Brems-chen” (wie 1. Märzwoche) ab 22.3.2021
    • Was passiert, wenn am Montag einige Einschränkungen beschlossen werden? Welcher genaue Mix an Maßnahmen können wir nur ahnen, aber ein Teilbetrieb z.B. der Schulen dürfte wohl dabei bleiben.
    • Zum Modellieren verwende ich den Wert 0,91 als R-Wert des Wildtyps, so wie in der ersten Märzwoche beobachtet (So ist ja auch die “Notbremse” definiert, zurück zu den Regeln vor dem 7.3.2021).
    • Dies alleine kann aber das weitere Wachsen von B.1.1.7 nicht aufhalten, erst mit dem Fortschreiten der Impfungen ab April und einer eingerechneten Saisonalität sinken die Zahlen bis Sommer wieder.
  • Szenario C: Lockdown (wie 1. Februarwoche) ab 5.4.2021
    • Wie sieht es aus, wenn wir jetzt nichts ändern, und die Entscheidung für einen Lockdown mit Regeln ähnlich wie in der letzten Januarwoche/ersten Februarwoche bis Anfang April verschieben?
    • Hier modelliere ich mit RWild=0,85, was auch nur zusammen mit der Wirkung der Impfungen ausreicht, um REffektiv unter 1 zu senken und das Wachstum zu stoppen)
  • Szenario D: Lockdown (wie 1. Februarwoche) ab 29.3.2021
    • Und alternativ: Was würde es bringen den Lockdown eine Woche vorzuziehen?

Eine Veränderung in unserem Verhalten braucht eine Woche, bis sie sich in den Zahlen niederschlägt, da passt es ganz gut, dass mein Modell wochenweise arbeitet. Ab dem jeweils genannten Termin lasse ich in jedem Szenario die Maßnahmen weiterlaufen, sodass eine am Ende NoCovid-Situation erreicht wird.

Modell Ergebnisse

Die vier Modell-Ergebnisse sehen so aus (Anklicken zum Reinzoomen (Desktop only) oder hier die Datei in voller Auflösung herunterladen):

Dass Szenario A, also “nix tun”, keine Option ist, sieht man sofort. 55.000 Todesfälle, 6 Millionen Infektionen, die zu 600.000 Longcovid-Fällen führen und eine Welle in den Intensivstationen, die nicht in die Grafik passt (die Welle wäre ca. 4x so hoch wie im Dezember).

Interessanterweise haben Szenario B und C nahezu das gleiche Ergebnis: Etwa 25.000 Todesfälle, ca. 2 Mio Infizierte und 200.000 Longcovid-Fälle – beim “Brems-chen” bleibt aber die Welle in den Intensivstationen deutlich niedriger (7.600 Betten vs. 9.300), weil sich die Welle etwas in die Länge zieht, ist aber immer noch um fast 25% höher als die erste Welle.

Ziehen wie im Szenario D den Lockdown um eine Woche vor auf den 29.3.2021 sinkt die Gesamtanzahl der Infektionen und Longcovid Fälle 25% auf 1,5 Mio bzw. 150.000, die Sterbefälle sinken um 15%.

In allen Szenarios mit Maßnahmen, also B/C/D, dauert es bis Juni um wieder auf die Fallzahlen zu kommen, die wir vor 4 Wochen hatten. 2-2,5 Monate Lockdown als Quittung für 4 Wochen Leben mit überstürzte Lockerungen – gegen die Empfehlungen der Wissenschaft. Das ist ein hoher Preis, den wir für die Lockerungen bezahlen.

Fazit

Wenn man die Ergebnisse des Modells miteinander vergleicht ergibt sich: Weil die Nebenwirkung der Einschränkungen beim “Brems-chen” wohl geringer ausfallen als bei einem härteren Lockdown, dürfte das z.Zt. unsere beste Option sein. Dazu müssten wir uns aber gleich am Montag entscheiden und das sofort umsetzen. Ist wohl nicht wahrscheinlich, dass die Politik das so schnell schafft.

Alle anderen Modelle, also “Brem-schen” erst eine Woche später, oder Lockdowns später als 29.3. oder 5.4. haben deutlich schlechtere Aussichten, erscheinen aber wenigstens noch machbar.

Was ist wenn wir diese Termine alle sausen lassen?

Das bringt uns zum Abschluss doch noch zu einem fünften “Szenario E”: Käme als “letzte Lösung” ein Lockdown erst am 12.4.2021, der ab 19.4.2021 wirkt, hätte das 2,4 Mio Infektionen, 30.000 Todesfälle und eine Welle in den Intensivstationen, die doppelt so groß ist wie im Dezember, zur Folge – immerhin besser als “durchlaufen zu lassen”, aber immer noch katastrophal. Das Gesundheitssystem würde kollabieren, andere Funktionsbereiche der Gesellschaft würden straucheln, was noch weitere Schäden nach sich zieht, die ich hier nicht eingerechnet habe.

Also, ohne massive Einschränkungen kommen wir nicht bis in den Sommer. Und das alles trifft auch nur dann ein, wenn der ambitionierte Impfplan auch tatsächlich umgesetzt wird.

Nachtrag 21.3.2021

Die Modellrechnungen im Detail

Die Modellrechnung zum Reinschauen

Hier kannst Du in die Google Sheets Datei reinschauen, die ich für die hier gezeigten Berechnungen verwendet habe, Man kann die Datei dort auch kopieren/herunterladen:

https://docs.google.com/spreadsheets/d/19W0t3F503Y4Y2Kq9PAiz0ciW2H44sFZrphZZd8H5-7o/

Würde mich freuen, wenn mir jemand die Vorhersage-Fehler bzw. falschen Annahmen aufzeigt, die die o.g. Szenario-Ergebnisse besser werden lassen. Bitte die Dokumentation des Modells beachten.

Kommentare bitte an @dpaessler https://twitter.com/dpaessler.

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG

3 thoughts on “Countdown zum Lockdown: 4 Szenarien für die nächsten 4 Wochen”

  1. Sehr schlimm. Aber Realität
    Heute in den Erlanger Nachrichten:
    Schüler mit POS Test werden stigmatisiert
    Schüler die keinen Test wollen, dürfen auch in die Schule.
    Die Teste soll der Staat organisieren.
    Auch die Journalisten haben nichts kapiert.
    Der Ernst der Lage ist der EN nicht klar.
    Bleiben Sie gesund.

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  2. leider ist das Szenario “wir machen einen richtig harten Lockdown und versuchen doch noch was Richtung NoCovid” völlig unrealistisch.

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  3. Ich versuche mich gerade im „Überblick behalten“. Da auch Politik und Presse (jeweils noch gesplittet in Bund und Land) ständig Begriffswechsel vornimmt (Lock- bzw. Shutdown, variiert um den Zusatz light bis hart etc.) und dann noch zeitliche Ergänzungen herangezogen werden (z.B. „so wie am/im …“) schlage ich vor bzw. bitte ich: einige Parameter festlegen zur Spezifizierung, welches Modell jetzt bei Ihnen/Politik/Presse gerade verwendet wird. Vielleicht gelingt es ja Ihnen, hier die ganze Bande mit einem guten Vorschlag auf eine einheitliche Struktur festzulegen? Anregungen meinerseits für Parameter : Zielinzidenz für Maßnahmen, Maßnahmenkategorien wie Öffnung Schule/Kita (Präsenz, Wechsel, Homeschooling), Öffnung Handel (unbedingt lebensnotwendig, Normalbedarf, Bedürfnisse), Reisen und Gastro …
    Wäre mindestens genauso schwierig, aber der Mühe wert. DANKE FÜR IHRE ARBEIT!

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