Der weitere Pandemie-Verlauf bleibt vorerst unklar (Modellrechungen)

Ein Blick auf die nächsten 6-12 Wochen anhand von 7 Szenarien aus meinem Pandemie-Modell.

Kurzfassung:

  • Ende Oktober Inzidenz um ~50 (?)
  • Danach könnten Saisonalität und Nachlassen der ersten Impfungen die Inzidenz wieder hochschieben
  • Eskalation dann wohl nur durch deutlichen Impffortschritt & 3. Dosis vermeidbar
  • Lockdowns bleiben im Herbst/Winter möglich

Aktuelle Modellrechnung mit 7 Szenarien

Nachdem Juli und August leicht vorherzusagen waren, hat sich der September doch ganz anders entwickelt, als die meisten Modelle inklusive meinem berechnet hatten.

Meine aktuelle Theorie ist, dass die bei Inzidenz 100 in vielen Landkreisen eingeführten Einschränkungen zusammen mit den immer öfter angewendeten 2G/3G-Regeln ausgereicht haben, um den R-Wert unter 1 zu drücken. Das war dann doch viel leichter als gedacht, ist sehr erfreulich und hätte ich nicht so erwartet. Ist wohl auch ein bisschen das Präventions-Paradox, bei dem die Modellberechnungen der möglichen zukünftigen Verläufe zu Maßnahmen führen, die dann diese üblen Verläufe tatsächlich verhindern.

Wenn man nun auf Basis des bisherigen Verlaufs im September die nächsten Wochen vorhersagen will, dann sind es meines Erachtens im wesentlichen 4 Parameter, die den Inzidenzverlauf maßgeblich beeinflussen werden, und die wir alle nicht genau kennen:

  • Impf-Fortschritt/Impfrate (inkl. 3. Dosis) bis Ende des Jahres
  • Wirkung der Herbstferien
  • Stärke der Saisonalität
  • Nachlassen der Immunität gegen Ansteckung x Wochen nach der Impfung

Dazu habe ich 7 Szenarien in meinem Modell berechnet, die uns einen wilden Blumensträußen von Verläufen bescheren, der von “alles wird gut” bis “komplette Eskalation” alle Varianten abdeckt. Der weitere Verlauf reagiert sehr empfindlich auch schon auf kleine Veränderungen in den Modell-Parametern, die Situation ist weiterhin instabil.

Immerhin für die nächsten 6 Wochen liegen sechs der sieben Szenarien sehr nahe beieinander und kommen für Ende Oktober auf Inzidenz 50 oder drunter.

Für die Zeit danach ist kaum eine halbwegs belastbare Aussage über den weiteren Verlauf zu treffen, denn in der Realität werden die Annahmen der Szenarien auch miteinander kombiniert.

Was man aber an diesen Szenarien sehen kann: Welchen Einfluss die einzelnen Parameter haben, und daran kann man eine Menge lernen.

Basis Szenario A

Im Basis-Szenario A bin ich von folgenden Annahmen ausgegangen:

  • Impfrate bis Anfang November 68% (1. Impfung)
  • Herbstferien senken R um 5-10% im Oktober bis in den November
  • Die Wirkung der Saisonalität auf den R-Wert liegt bei 20% (Sinuskurve mit Maximum/Minimum zur Sonnenwende)
  • 10 Wochen nach der 2. Impfung sinkt der Schutz gegen Ansteckung um 5% (von 84% auf 79% für Delta), und in Woche 20 nochmals um 5%

Daraus ergibt sich ein Absinken bis Ende Oktober. Aber am Ende der Herbstferien knickt der Inzidenzverlauf dann doch nach oben.

Mehr Impfrate: Szenario B und C

Die beiden gestrichelten Linien zeigen den Verlauf für 75% (Orange) und 80% (dunkelorange) Impfrate bis Anfang November. Beide Szenarien zeigen stabil nach unten und zeigen uns, wie wichtig jedes Prozent mehr Impfungen ist, das Impfen ist unser verlässlichster Ausweg aus der Pandemie. IMPFEN!!! IMPFEN!!! IMPFEN!!!

Mehr oder weniger Immunitätsverlust der Impfung: Szenario D und E

Soweit ich die Quellen gesichtet habe ist es für Deutschland noch unklar, wie hoch der Verlust an Impfwirkung (“Waning Immunity”) ist, die Signale aus anderen Ländern zeigen aber, dass der Verlust größer null ist. Die Grafik zeigt neben dem Basis-Szenario A (5%) noch die Kurven für 3% (blau) und 10% (pink) Verlust an Impfwirkung gegen Ansteckung alle 10 Wochen.

Best Case: Die anzustrebende blaue 3% Kurve könnten wir vielleicht erreichen, wenn wir eine erfolgreiche 3-te-Dosis-Impfkampagne machen, insbesondere bei den besonders betroffenen alten Menschen, deren Impfungen auch schon am längsten her sind (jetzt bitte keine Witze über erfolgreiche Corona-Impfkampagnen in Deutschland!).

Worst Case: Sollte sich eine Rate von 10% pro 10 Wochen bestätigen dürfte ein Bremsen ohne Lockdown kaum möglich sein.

Hier der Verlauf der Impfwirkung im Modell für 0% und 10% Immunitätsverlust alle 10 Wochen (68% Impfrate Erstimpfung bis November):

Mehr oder weniger Saisonalität: Szenario F und G

Die drei durchgezogenen Linien zeigen der Verlauf für verschiedene Annahmen der Saisonalität: 10% (blau), 20% (Basis-Szenario, rot) und 30% (grün). Alleine schon diese Unsicherheit reicht von flachem Pandemieverlauf (blau) bis Eskalation im November (grün).

Best Case: Den 10% Verlauf halte ich für extrem unwahrscheinlich.

Worst Case: Es gibt viele Studien, die den Wert eher bei 30% als bei 20% sehen.

Wir haben es in der Hand

Die bis Ende Oktober besten drei Szenarien haben alle mit dem Impfen zu tun: höhere Impfraten als 68% und Booster-Impfungen sind der verlässliche und VON UNS BEEINFLUSSBARE Weg aus der Pandemie. Wie stark die Saisonalität und der Verlust der Impfwirkung sind, haben wir nicht in der Hand, aber die Impfungen!

Was wären die Konsequenzen aus dem Basis-Szenario A?

Nachdem wir jetzt gesehen haben, wie vielfältig die Möglichkeiten für die weiteren Verläufe sind, schauen wir uns nur für das Basis-Szenario A die weiteren Folgen (Patienten-Zahlen und Sterbefälle an).

Sollte sich das Basis-Szenario A durchsetzen, dann wäre die Pandemie für den Rest des Jahres mit überschaubaren Konsequenzen gekoppelt, aber… Im Dezember baut sich bereits eine neue erhebliche Welle auf, der Januar würde schwierig werden.

Anhang: Validierung des Modells

Es folgen noch einige Grafiken, die zeigen, dass die Berechnungen der Konsequenzen aus den Fallzahlen durch das Modell recht brauchbare Ergebnisse produziert:

Die folgende Grafik zeigt der Verlauf der Hospitalisierungen, ITS Patienten und Sterbefälle aus den offiziellen Quellen zusammen mit den vom Modell berechneten Verläufen. Dabei sieht man nebenbei auch: Die “Abkopplung der Folgen von der Inzidenz” hat nicht stattgefunden.

Hier sind die Hospitalisierungen, Sterbefälle, ITS-Zugänge und ITS-Belegung jeweils so skaliert, dass die Maxima im April übereinander liegen. Dann kann man den Unterschied im Herbst einfach ablesen.

Im Juli und August waren sich die verschiedene Quellen für Hospitalisierungs-Raten und Case-Fatality-Raten nicht einig, das lief einiges auseinander. Meine aus dem Modell Anfang August abgeleiteten Werte waren 4% Hospitalisierung und 0,6-0,9% CFR. Inzwischen sind sich Werte wieder einig und haben meine Annahmen vom August ganz gut bestätigt, das Modell ist “auf Kurs”.

Und zum Schluss ein Vergleich der wöchentlichen Hospitalisierungen nach Alter die mein Modell aus den Fallzahlen berechnet im Vergleich zu den Werten vom RKI, das passt ganz gut zusammen:

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG