Modellrechnungen: Omikron umgeht die Impfungen

Wir treten ein in eine neue Phase der Pandemie. Omikron scheint ein Game-Changer zu sein.

Kurzfassung

  • Wir haben mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Problem. Ein Grosses.
  • Omikron wird wohl um den Jahreswechsel herum Delta überholen und eine riesige Welle erzeugen.
  • Nur Geimpfte haben überhaupt einen (Teil-)Schutz: Nie war es dringender sich impfen zu lassen als jetzt.
  • Wie krank/tot Omikron macht (und damit, wie sehr es unser Land und Gesundheitssystem belastet) werden wir erst wissen, wenn es zu spät ist zu handeln.
  • Ohne Gegenmaßnahmen werden Millionen Menschen infiziert werden bis zum Frühling.
  • Wenn wir klug wären, müssten wir jetzt sofort alles aufwenden was wir können, um die Ausbreitung wenigstens zu bremsen (aufhalten geht kaum) bis die nächste Generation Impfstoffe kommt. Das gute alte “flatten-the-curve”.

Problem 1: Umgehung von Impfstoffen

In den letzten 12h zeigten mehrere Untersuchungen, dass Omikron die Abwehr der Geimpften und Genesenen nahezu vollständig umgehen kann.

Das Team von Sandra Ciesek hat 0% Neutralisation gemessen, egal welcher Impfstoff. N. U. L. L. Nach Booster waren es zumindest noch 25%. (weitere Quellen mit ähnlichen Ergebnissen hier und hier).

Alle Fachleute erwarten, dass die Geimpften und Genesenen noch mindestens gut gegen schwere Verläufe geschützt sind (“T-Zellen-Immunität” usw.), hier und hier. Damit erklärt sich niedrige Krankenhausrate in Südafrika (85-95% hatten bereits Kontakt zum Virus oder sind geimpft => Schutz gegen schweren Verlauf), und die hohe Rate bei kleinen Kindern (die noch keine Infektion durchgemacht hatten bzw. keine Antikörper gebildet hatten=> erster Kontakt).

Klare Sache: Es ist noch dringender geworden und es war nie sinnvoller, sich impfen zu lassen, als jetzt. Denn: Das Risiko sich anzustecken geht durch die Decke. Und wir haben auch noch Problem Nummer 2.

Problem 2: R0 ist (wahrscheinlich) höher als bei Delta

Das ist jetzt – was die Ausbreitung angeht – wie eine völlig neue Pandemie. Für Omikron hat die ganze Welt eine 100% immunnaive Bevölkerung, keiner hat Antikörper, die das Virus stoppen können.

Otmar S. twittert: “Letztlich ist Omicron zzgl. Impfung/Vorinfekt wie Alpha ohne jedwede Kontaktbeschränkungen. Das ist 2020 in Originalgeschwindigkeit.” Was er meint: Wir sind im Moment bei Omikron mit Einschränkungen da, wo wir Anfang 2020 ohne Einschränkungen waren.

Schauen wir uns das mal mit dem R-Wert an: Südafrika ist jetzt schon bei R>2 (wie im März 2020) nachdem man in der Delta-Welle zuletzt bei R=0,6-0,7 lag, also das Dreifache! Wichtig: Da ist gerade Sommer, die Saisonalität wirkt da also eigentlich noch gehörig dagegen.

In UK, Dänemark und Deutschland lag der R-Wert (durch Maßnahmen und Impfungen) mit Delta bei circa R=1, da lagen wir also gleichauf. UK, DK, und RSA melden aber jetzt für Omikron R-Werte, die um die 2,5-3 liegen, also auch 3x so hoch wie mit Delta (hier, hier).

UK, Dänemark und Südafrika gehören zu den Ländern mit der besten Beobachtung des Virus, in kaum anderen Ländern wird mehr beobachtet, getestet und sequenziert (wir haben dagegen fast einen Blindflug, auch 2 Jahre nach dem Start der Pandemie).

DK und UK sind uns m.E. ähnlich genug sodass wir davon ausgehen müssen, dass sich Omikron bei uns sehr ähnlich ausbreiten wird. Also: Reicht das nahezu 100%-ige Umgehen der Impfungen um den R-Wert zu verdreifachen, also bei uns auf R=3? Ich habe das hier mal für Deutschland in meinem Modell gerechnet, unter folgenden Annahmen:

  • Wir behalten unser Verhalten der KW 29.11. bei
  • Der Anteil an Omikron-Infektionen ist in der KW 29.11. ca. 0,5% der bekannten Infektionen
  • Wir boostern/impfen weiter wie in KW 29.11.
  • Impfstoffe sind wirkungslos gegen Omikron-Ansteckung

Achtung: Was jetzt folgt sind natürlich idealisierte/theoretische Modell-Werte, die wir jetzt zu sehen bekommen. Zum Einen würden wir als Gesellschaft so eine Welle nicht ohne Verhaltensänderungen laufen lassen. Zum Anderen ist mein Modell für Durchseuchungs-Szenarien wahrscheinlich nicht ideal (für “normale” Verläufe sind die Werte ja bekanntlich ganz gut). Also, liebe Modell-Agnostiker, das sind keine Vorhersagen!

Nebenbei bemerkt: Unser Test/Meldesystem wäre sowieso komplett unfähig eine derartige Welle in dieser Form “zu messen”.

Szenario 1: Omikron ist so ansteckend wie Delta, Impfschutz ist bei null.

Wir sehen: Nein, die Umgehung der Impfungen reicht nicht aus, um den R-Wert zu verdreifachen, wir kommen nicht einmal über R=2,0 für Omikron:

Szenario 2: Omikron ist 50% mehr ansteckend wie Delta, Impfschutz ist bei null.

Läge der R0 von Omikron um 50% höher als der von Delta, ergeben sich für Omikron ein R-Wert von ca. R=3 und der Gesamt-R-Wert geht kurz mal auf R=2,5, um dann abzufallen – weil bereits 66 Mio Menschen infiziert wurden, die Welle wäre zu Ende.

Aus dieser kurzen Modellrechnung wäre dann abzuleiten: Der R0 von Omikron liegt beim 1,5-fachen von Delta.

Problem 3: Wie krank macht Omikron (mit/ohne Impfung)?

Was wir noch nicht wissen:

  • Wie krank macht Omikron?
  • Welcher Anteil der Infizierten muss in Krankenhaus oder auf Intensiv?
  • Welcher Anteil der Infizierten verstirbt?

Wahrscheinlich werden wir die Antworten auf diese Fragen erst in 1-3 Wochen bekommen, also in den Feiertagen, dann wenn Omikron aber schon in den Tausender-Inzidenzen ist. Wer also jetzt auf diese Antworten wartet und erst dann über Maßnahmen entscheiden will, hat jetzt schon verloren.

Nehmen wir mal ultra-optimistisch an, dass Omikron nur 1/10-tel so krank/tot machen würde wie Delta, dann dürften wir uns maximal eine Inzidenz von 3.000-4.000 leisten, bevor das Gesundheitssystem wieder so am Limit ist, wie jetzt gerade bei Inzidenz 400. Es ist aber auch möglich, dass Omikron genauso krank macht wie Delta. Dann sind bei uns nur 70% der Menschen durch die Impfungen geschützt. Ohje.

Problem 4: Delta-Welle ist voll im Laufen

Aber da haben wir das nächste Problem: Wenn Omikron in 3-5 Wochen einschlägt ist Delta immer noch da, die Kliniken und die Intensivstationen immer noch voll von Delta. Und dagegen können wir nichts mehr tun. Nichts.

Trotzdem müssen wir handeln: Was mich zum Szenario 3 und 4 bringt: Zwei Lockdown-Varianten. Einmal ein harter Lockdown, der den R-Wert um 30% senkt. Und ein ultra-harter, der 45% R-Wert Senkung schafft.

Szenario 3: -30% Lockdown ab 13.12.2021

Aktuell bremsen die Verhaltensänderungen und Maßnahmen die Delta-Welle um ca. 17% im Vergleich zur KW 15.11.2021. Nehmen wir an, wir können nochmals 30% besser werden, also um 47% den R-Wert senken im Vergleich zur KW 15.11, dann wirkt das auf Delta und Omikron so, wie die folgende Grafik zeigt. Und optimistisch wie wir sind trauen wir den Impfstoffen zu, dass sie doch noch 10% helfen gegen Ansteckung:

Dafür notwendig wären m.E. die mehr oder weniger weitgehende Schließung von fast allem: Gastro, Läden, Schulen/Kitas und Büros. Bis April hätten wir ca. fast 40 Mio (!) Infektionen und die Inzidenz würde erst bei ca. 15.000 umdrehen. Wie gesagt, eine idealisierte Modellrechnung, aber trotzdem eine besorgniserregende Aussage über Heftigkeit der Welle. Die Auswirkungen mag man sich nicht ausmalen.

Szenario 4: -45% Lockdown ab 13.12.2021

Jetzt legen wir nochmal 15% R-Wert Bremsung oben drauf, senken den R-Wert um -62% gegenüber der KW 15.11. :

Wer mit Log-skalierten Graphen nicht so viel anfangen kann, hier noch die lineare Skalierung:

Ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, wie wir -62% Absenkung schaffen wollen, das wären schon sehr stille Weihnachten. Bis April hätten wir ca. 10 Mio Infektionen und die Inzidenz würde bei ca. 1.300 drehen. Das ist also viel erträglicher als Szenario 3, aber ist das realistisch erreichbar? 62% R-Wert Senkung reichen aber immer noch nicht, um den um Faktor 3 höheren R-Wert von Omikron rasch zu knacken.

Kurven für Hospitalisierungen, ITS-Belastung oder Verstorbene könnten wir im Modell zwar rechnen, aber die Werte sind aufgrund des Datenmangels erstmal unbrauchbar. Inzidenzen von ein paar Tausend sind und bleiben ein Problem, da bin ich mir ziemlich sicher.

Noch ein paar Kommentare aus Twitter:

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG