Modellrechnungen: Dezember und Januar (mit und ohne Omikron)

Kurzfassung:

  • Gute Nachricht: Delta-Welle im Seitwärtstrend, könnte bald in sinkenden Trend übergehen.
  • Schlechte Nachricht: Spitze der ITS-Betten-Welle trifft die Kliniken über die Feiertage.
  • Noch schlechtere Nachricht: Wir gehen wohl nahtlos über in eine noch heftigere Omikron Welle

Eine gute Nachricht

Die gute Nachricht ist diese Woche, dass die Inzidenz-Entwicklung in einen Seitwärtstrend abgebogen ist. Eine große, vernünftige (und schweigende?) Mehrheit der Menschen muss seit 2-3 Wochen ihr Verhalten so geändert haben und so viele Kontakte vermieden haben, dass wir aus dem seit Juni andauernden Dauerwachstum raus sind. Oder glaubt jemand, dass die vor letzten Donnerstag verkündeten müden Maßnahmen der Politik tatsächlich eine breite Wirkung gehabt hatten, mal abgesehen von Ausnahmen (z.B. Hotspot-Regeln in Bayern)?

Teil 1: Modellrechnung nur mit Delta

Als erstes schauen wir auf die weitere Entwicklung und gehen davon aus, dass Omikron erstmal keine Rolle spielt bis Januar.

Das Szenario des “Bürger Lockdownchens” von letzter Woche lag der Entwicklung am nächsten, der tatsächliche Verlauf war dann sogar besser. Auch ohne große Entscheidungen der Politik haben die Bürger es geschafft, den R-Wert um ca. 17% abzusenken, sodass wir jetzt einen Seitwärtstrend haben. Dabei hilft nun auch zunehmend die Booster-Rate und das wird dann für sinkenden Zahlen sorgen.

Die Frage ist, ob dieses gedämpfte Kontakt-Verhalten über längere Zeit durchzuhalten ist (setzt sich die Vernunft lange genug durch?), oder erodiert das Verhalten wieder, insbesondere über die Weihnachtstage?

Auf Basis der bis heute vorliegenden Daten habe ich drei Szenarien gerechnet:

  • Szenario C1: Fortschreibung des Bürger Lockdowns: Wir halten die Selbstbeschränkung mit Unterstützung der am Donnerstag verabschiedeten Regeln auf diesem Niveau durch.
  • Szenario C2: Wie C1, aber es wird zum 13.12. noch zusätzlich ein Lockdown ausgerufen, der den R-Wert um weitere 30% absenkt, und ab 20.12. “wirkt”.
  • Szenario C3: Wir halten die Selbstschränkung nicht durch, über die Feiertage gibt es mehr Kontakte als in der Adventszeit, und nur die Weihnachtsferien schaffen endlich die Welle zu brechen.
  • Das Szenario B3 von letzter Woche sollten wir nicht ganz aus den Augen verlieren: Wenn das Meldesystem wirklich massive Probleme hat (hohe Dunkelziffer), dann dürfte die gepunktete blaue Linie näher an der Wahrheit dran sein als alles andere.

Die Modellergebnisse sehen so aus:

Wichtig: Es ist zu erwarten, dass wir zwischen den Weihnachtstagen und dem 6.1.2022 wieder in ein Melde-Loch fallen werden, d.h. wir werden wie letztes Jahr wieder 2-3 Wochen im Unklaren bleiben, wie sich die Pandemie entwickelt. In dieser Zeit können wir dann nur auf die nächsten, nachgelagerten Messgrößen schauen (Hospitalisierungen, ITS-Betten) und werden nicht wissen, ob es gerade besser wird, oder nicht. Was schwierig ist: Je nachdem wie schnell sich Omikron verbreitet könnte das rasche Zunehmen dieser Variante genau in diese Zeitphase reinfallen. Es wäre also klug, wenn wir bis Weihnachten Infrastrukturen schaffen würden, die das Ferien/Feiertage-Meldeloch vermeiden (ja, ich weiß, das ist wenig wahrscheinlich. Man darf doch wohl mal träumen…).

Alle 3 neuen Szenarien würden es schaffen bis ins neue Jahr die Inzidenzen wieder unter 250 zu senken. Das dunkelrote “Bürger-Lockdown”-Szenario scheint nur wenig schlechter zu sein als ein Lockdown, aber es ist auch sehr fragil (nahe an und um R=1) und kann jederzeit wieder nach oben gehen. Ein wirklich zuverlässiges Absenken geht nur mit klaren staatlichen Regeln. Und bitte auch im Hinterkopf haben, dass diese Kurven ganz Deutschland abdecken – regional sieht das noch viel schlechter aus.

Was sich daraus als ITS-Belegung ergibt, sieht wie folgt aus.

Anmerkung: Die Modell-Zahlen und DIVI-Zahlen laufen seit 4 Wochen auseinander. Das Modell rechnet (mangels brauchbarerer Annahmen für Triage etc.) weiterhin mit optimaler Versorgung aller Patienten. In der Realität gibt es aber seit 4-5 Wochen Sättigungseffekte, weil die ITS-Stationen durch Überlastung nicht mehr alle Patienten aufnehmen und gleich gut behandeln können wie vorher. Die Folgen davon zeigen sich bereits in einer steigenden Case Fatality Rate.

Die Spitzenwerte der ITS-Belegung liegen bei allen Szenarien bei knapp 10.000 belegten ITS Betten, mit der Spitze von Mitte Dezember bis zum Jahreswechsel. Diese Spitze liegt um ca. 8-15% über den aktuellen Werte von heute. Die Spitzenwerte, die die DIVI in den nächsten Wochen vermelden wird, dürften also bei ca. 5.400 bis 5.700 liegen.

Diese Spitzenwerte sind nicht mehr zu vermeiden (diese Patienten sind heute schon infiziert). Das werden also schwierige Feiertage in den Kliniken. Im Falle C3 (erodierender Bürgerlockdown) hält sich die Spitze sogar für 5-6 Wochen.

Dass wir uns tatsächlich in einem Seitwärtstrend befinden, der nicht nur durch Meldeprobleme so aussieht, zeigt sich m.E. am besten beim Blick auf die täglichen stationären Aufnahmen über die ZNAs, die die Notaufnahmen an die DGINA Notaufnahme Ampel melden: Die orange Linie läuft seit ca. einer Woche seitwärts und diese Kurve zeigt Trendwechsel in der Regel bereits einige Tage vor der Inzidenz an.

Teil 2: Mit Omikron könnte es übel werden

Jetzt kommen die richtig schlechten Nachrichten: Omikron wird uns beschäftigen in den nächsten Monaten. Omikron könnte Delta sogar völlig in den Schatten stellen.

Die Datenlage über Omikron ist noch unübersichtlich, wir wissen nicht ob Geimpft und/oder Ungeimpfte wieviel mehr angesteckt werden und wir wissen auch noch nicht, ob die Krankheitsverläufe ähnlich sind wie bisher, oder anders.

Was wir aber wissen: Die Entwicklung der Omikron-Fälle in Südafrika, UK, Belgien, Dänemark sind besorgniserregend. Beispiel Südafrika:

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Quelle: https://twitter.com/rid1tweets/status/1467597356061401089

Verschiedene Experten haben den Ansteckungsvorteil von Omikron im Vergleich zu Delta in Südafrika und UK auf den Faktor 3 bis 4 berechnet, d.h. der Re-Wert ist um diesen Faktor höher als bei Delta. Das ist ein größerer Sprung als von Alpha zu Delta!

Nehmen wir Faktor 3 mal als Annahme für die weiteren Überlegungen und schauen wir mal wo wir damit rauskommen würden: In Südafrika – mit einer Bevölkerung, die zu 85-90% schon mit dem Virus in Kontakt war (30% geimpft und viele andere waren infiziert mit den Vorgänger-Varianten) – lag der R-Wert für Delta durch Verhalten und Immunität der Bevölkerung im November so, dass Delta mit einem R=~0,6 am Sinken war. Mit Omikron ergibt sich jetzt schlagartig ein R-Wert von >1,6 und dazu eine hohe Positiv-Rate.

Quelle

Der Faktor 3 scheint belastbar zu sein, wir wissen aber nicht genau, wie dieser entsteht. Es gibt drei Möglichkeiten:

  • Es könnte sein, dass nur die Basis-Ansteckungsrate R0 viel höher ist (das wäre dann im Extremfall ein R0-Wert von 20 oder mehr), das scheint aber eher unwahrscheinlich zu sein.
  • Es könnte sein, dass Omikron die Wirkung der Impfungen gegen Ansteckung weitgehend aufheben kann (bis zu 90%?), aber auch das scheint unwahrscheinlich.
  • Oder es ist eine Kombination der beiden, wobei wir die genauen Werte (noch) nicht wissen.

Das Problem: Es macht einen Unterschied, wie die genaue Kombination ist, insbesondere wenn wir auf Deutschland schauen, dass sowohl eine höhere Impfquote als auch gleichzeitig einen viel höheren Anteil an Immun-Naiven (=Ungeimpfte ohne Infektions-Erfahrung) hat als Südafrika: In dieser riesigen Gruppe der Ungeimpften kann sich ein aggressives Virus viel schneller verbreiten. Damit könnte bei uns der R-Wert von Omikron sogar höher liegen.

Wir haben die Delta Welle gerade mühsam aber erfolgreich auf R=1 gesenkt. Wenn wir kurz mal vereinfachend für Deutschland die gleiche Immunität annehmen wie Südafrika, können wir einen dreifachen R-Wert für Omikron auch für Deutschland anwenden (und merken uns im Hinterkopf, dass dieser durch den Immunescape dann eher noch höher liegen wird) um abzuschätzen, wie es weitergeht. Auch in UK, ebenfalls viel geimpfter als wir, zeigt Omikron bereits eine Verdopplung alle 3 Tage.

Als “erste Abschätzung” des Inzidenzverlaufs für Deutschland verwende ich also in den folgenden Grafiken einen R-Wert für Omikron der 100%, 150% und 200% höher liegt als “unser” Delta (also Faktor 2, 2.5 und 3) und gehe zusätzlich davon aus, dass es Omikron nicht mehr Immunflucht hat als Delta. Das Ergebnis ist eine Welle, die maßgeblich durch die Ungeimpften und nicht voll geschützte Geimpfte durchrauscht (weil Geboosterte sind zu >90% gegen Delta geschützt). Um abzuschätzen, was uns mindestens blühen könnte, wenn Omikron bei uns einen viel höheren R-Wert als Delta hat, reicht aber auch das aus.

Die folgenden Szenarien gehen außerdem davon aus, dass wir unser aktuelles Verhalten (“Bürger Lockdown”, s.o.) weiterhin durchhalten, keinen Lockdown machen, und weiter gut Boostern. Zum Start in der Kalenderwoche 29.11. gehe ich von einem Omikron-Anteil von 0,1% an allen Fällen aus.

Szenario 1: Omikron ist um 100% ansteckender als Delta:

Szenario2: Omikron ist um 150% ansteckender als Delta:

Szenario 3: Omikron ist um 200% ansteckender als Delta (Faktor 3):

Bitte beachten: In diesen Grafiken geht es um die “Form” der schwarzen Linie, nicht um die exakte Höhe oder die genaue Lage auf der Zeitachse. Das sind keine Vorhersagen sondern Szenarien, die uns helfen sollen, die möglichen Entwicklungen abzuschätzen.

Diese Aussichten sind düster, ich habe extra eine Logskala-Darstellung dazu gepackt. Ich habe sogar Zweifel, dass man einen 200% höheren R-Wert mit Maßnahmen überhaupt aufhalten kann bei fast 30% Ungeimpften.

Die Übernahme der Dominanz der Infektionen könnte schon zwischen der letzten Dezember-Woche und Mitte Januar passieren, ohne Lockdown und scharfe Maßnahmen würde die Inzidenz im Januar steil nach oben gehen. SO schnell kann das gehen!!!

Selbst wenn es nur halb so schlimm käme: Wir schauen erstmal noch in Ruhe zu, was sich in Afrika so tut, und machen…. was genau? Wir lassen Delta noch gemütlich mit R=1 in einem Seitwärtstrend weiterlaufen, sodass im schlimmsten Fall bei Dominanz-Übernahme von Omikron die Krankenhäuser bereits maximal gefüllt sind? Anstatt dafür zu sorgen, dass wir nicht völlig unvorbereitet in diese Welle reinrauschen? Oh Mann, ist Deutschland blöd.

Zur durch Omikron entstehenden Belastung des Gesundheitssystems nur drei Gedanken:

  • Wenn die Omikron-Welle richtig loslegt, Anfang 2022, sind unsere Krankenhäuser noch mit Delta-Patienten voll. Also eigentlich ist es schon egal, ob Omikron ein weniger krank macht, oder nicht: Platz wäre eh kaum mehr im Krankenhaus.
  • Die Welle, die ohne Maßnahmen durch die Ungeimpften durchlaufen würde, ist so hoch, dass die entstehenden Patientenzahlen auch dann noch riesig werden würden, wenn Omikron nur 1/50 so krank macht wie Delta. Eine Inzidenz von >10.000 bleibt immer ein Problem.
  • Alle diese Betrachtungen berücksichtigen keine Immunflucht, wenn sich das bestätigen sollte, wird es noch schli…..

Was die Kurven alle sehr schön zeigen: Immer dann, wenn wir in Deutschland ENDLICH eine Variante in den Griff bekommen haben und die Welle ENDLICH sinkt, kommt schon wieder die nächste Variante von unten hoch. Jetzt auch wieder. Wie blödeln jeweils so lange rum, dass wir immer wieder ins nächste offene Messer laufen. Jetzt schon zum dritten Mal.

Oh Mann, ist Deutschland blöd.

Oder, wie Experte Kupferschmidt sagt: “the biggest collective political failure I have witnessed in my lifetime.”

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG