Welche Risiken hat man in Schule/Arbeit bei Omikron-Inzidenz 1.000?

In ca. 10 Tagen werden wir in Deutschland die Inzidenz 500 erreichen, und 4-7 Tage später, so um den 20.-22.1. dann die Inzidenz 1.000. Die 2.000 kommen dann wieder 4-7 Tage später (wenn wir nicht bis dahin erheblich bremsen, siehe Modellrechnungen).

Welche Gedanken über Corona-Risiken muss man sich jetzt als Schüler und/oder Erwachsener machen, wenn man in so einem Szenario in Schule/Arbeit gehen soll?

Aus pandemischer Sicht wären Home-Office-Regelungen und Distanz-Unterricht die beiden Interventionen, die die stärksten und schnellsten Wirkungen erzielen, das hat Prof. Drosten auch nochmal im aktuellen Podcast gesagt. Zu den Schulen sagt Drosten: “Wir wissen genau, dass die stärkste Maßnahme ein Eingriff in den Schulbetrieb ist, weil sich das Virus eindeutig in den Schulen verbreitet” und “wir haben im Dezember gesehen, dass das Virus aus den Schulen an die Erwachsenenjahrgänge weitergegeben wird.” Was die Politik nun tatsächlich entscheidet und bei welcher Inzidenzstufe, das wissen nur die Götter.

Also schauen wir uns doch mal mit ein bisschen Mathematik an, wir gross diese Risiken sind, und welche Möglichkeiten der Einzelne hat, sich selbst und andere zu schützen, wenn die Regierung sich schon nicht aufgefordert fühlt, die Menschen zu beschützen.

Die folgende Grafik vergleicht die Risiken, die ein Schüler/Mitarbeiter in den nächsten 12 Wochen hat mit dem jährlichen Unfallrisiko auf dem Schulweg bzw. in der Schule:

Quelle Unfalldaten: DGUV

Anmerkung: Natürlich werden wir nicht 12 Wochen lang eine Inzidenz von 1.000 haben. Die Inzidenz kann mit Omikron auch noch viel höher liegen.

Wir sehen am obersten roten Balken: Ohne Maske und ohne Impfung kommt es unweigerlich zum “sie werden sich unweigerlich anstecken”-Szenario, das die Experten für eine heftige Omikron-Welle mit Inzidenz 1000 oder mehr vorhergesagt haben.

Wenn alle OP Masken tragen, sinkt das individuelle Risiko zwar um 70%, ist aber immer noch 5 mal so hoch wie ein (meistens nicht so krank-machender, weil kleiner) Unfall in der Schule in diesem Jahr.

Erst wenn alle (durchgehend, ohne Pausen!) FFP2 Masken tragen und besser auch noch 2x oder 3x geimpft sind, sinkt das Risiko unter das Risiko in diesem Jahr auf dem Schulweg einen Unfall zu haben.

Weitere Schutzmaßnahmen in den Schulen (Tests, Lüften/Luftfilter, Abstand, usw.) können Risiken nochmals um 20-90% senken. Sport-ohne-Maske, gemeinsames Essen, Maskenpausen, oder weitere Begegnungen auf dem Weg (ÖPNV) verschieben das Risiko wieder nach oben.

Fazit

Natürlich werden wir alle irgendwann in unserem weiteren Leben eine Begegnung mit dem Corona-Virus haben. Aber es gibt fünf gute Gründe zu anzustreben, dass man nicht in den nächsten Wochen/Monaten in der kommenden Omikron-Welle infiziert wird.

  1. COVID19 ist kein milder Schnupfen, sondern eine systemische Erkrankung, die praktisch jedes Organ betreffen kann, die nach Infektion monatelang im Körper verbleiben kann und die 10% (Kinder) bis 30% (Erwachsene) der Infizierten für Wochen oder gar Monate außer Gefecht setzen kann. (“Endemisch” heißt nicht, dass eine Krankheit nicht mehr krank/tot macht, siehe Malaria und HIV).
  2. Jede/r einzelne Infiziert(e) weniger trägt die Infektion weniger weiter und lässt die Welle früher bremsen. Man schützt damit die vorerkrankten, ungeimpften Kinder und das Funktionieren der Gesellschaft.
  3. Solange wir keine guten Medikamente haben, sollte man versuchen kein COVID zu bekommen (einige Monate).
  4. In der Welle könnten phasenweise so viele Menschen (und damit auch Klinikpersonal) erkrankt sein, dass man als Selbst-Erkrankter ggf. hilfesuchend vor einem nur halb-funktionierenden Krankenhaus steht.
  5. Die neuen Impfungen kommen wohl so um Mai herum, es wäre saublöd sich kurz vorher noch mit Omikron anzustecken.

Das Risiko zu erkranken und Schwere der Erkrankung hängt wahrscheinlich ab von der eingeatmeten Virus-Menge. Alles was diese Last reduziert oder die Luft filtert/verdünnt hilft. Das ultimative Tool: Dichte FFP2-Masken.

Mit FFP2-Masken, unserem magischen Jedi-Schutzschwert in der Pandemie, und Vermeidung von Menschenansammlungen sowie schlecht geschützten Kleingruppen (keine Tests/Masken/Lüftung) in Innenräumen hat man als Einzelner einen erheblichen Einfluss darauf, wie das persönliche Risiko-Profil aussieht.

Der Rest dieses Artikels leitet diese Grafik und dieses Fazit her:

Risiko der Ansteckung

Wir wollen ausrechnen wie gross das Risiko/Woche ist, sich in der Arbeit oder Schule bei anwesenden t=25 Personen anzustecken, und zwar abhängig von der Inzidenz.

Aus der Inzidenz kann man wie folgt ausrechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass an einem Tag ein Infizierter im Raum ist:

r: Wahrscheinlichkeit, dass an einem Tag ein Infizierter im Raum ist
i: aktuelle Inzidenz in Altersgruppe (letzte 7 Tage)
k: Korrekturfaktor Dunkelziffer
t: Teilnehmerzahl

Weiter kann man berechnen, wie wahrscheinlich es im Laufe der Woche ist, wenn d=5 Tage in Präsenz stattfinden:

R: Wahrscheinlichkeit, dass in dieser Woche mind. ein Infizierter im Raum ist
r: Wahrscheinlichkeit, dass an einem Tag ein Infizierter im Raum ist
d: Anzahl der Präsenz-Tage in einer Woche

Man kann jetzt auf verschiedene Arten argumentieren, welcher der beiden Werte der geeignetere ist (weil ja immer die gleiche Gruppe anwesend ist und weil Infizierte teilweise mit Tests gefunden werden eher der untere Wert, weil innerhalb der Woche mehrere infektiös sein könnten eher der obere Wert), also betrachten wir das Risiko pro Inzidenz jeweils als den Bereich zwischen roter und schwarzer Linie:

Wir sehen, dass sich rechnerisch ab Inzidenz 1.000 eine 40-90% Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ein Infizierter im Raum ist. Das ist schon sehr viel.

Bei Inzidenz 50 wäre das Risiko nur 2,5-12%. Übrigens: Ab Inzidenz 50 empfiehlt das RKI Distanz- und Wechsel-Unterricht in “Präventionsmaßnahmen in Schulen während der COVID-19-Pandemie” vom 30.9.2021 (Seite 10).

Wir rechnen jetzt mit dem höheren Risikowert weiter um den Worst-Case zu berechnen.

Wie können wir jetzt die Ansteckungsrate abschätzen?

Als Risiko der Ansteckung verwende ich mangels besserer Daten die Household Secondary Attack Rate für Omikron aus der dänischen Studie: Wenn in einem Haushalt eine infizierte Person lebt, werden 31% der anderen Mitbewohner angesteckt. 5 Tage für viele Stunden im gleichen Klassenzimmer setze ich jetzt also mit einem Zusammenleben in einem Haushalt gleich.

Quelle

Wenn dabei alle (ständig!) OP-Masken tragen sinkt das Risiko auf um -90%, mit guten FFP2 Masken sogar um -99,9% (Quelle: Studie der Max Planck Gesellschaft, Bericht in der ARD). Wohlgemerkt NUR wenn die Masken gut sitzen und nicht kurzzeitig abgenommen werden.

Wenn wir diese Faktoren zu den Risiken von oben multiplizieren, sieht das so aus:

Ohne Masken in den Unterricht zu gehen ist schon bei Inzidenz 50 keine gute Idee, über Inzidenz 500 liegt das Risiko sich ohne Maske anzustecken bei >25%. Mit OP Maske liegt man deutlich besser, unter 2-3%.

Aber die eindrücklich stärkste Wirkung haben gut sitzende FFP2-Masken: Das Risiko sich anzustecken sinkt auf unter 0,1%. Wer diese Zahlen kennt, fragt sich, warum noch irgendjemand bei hohen Inzidenzen eine OP-Maske auch nur in Erwägung zieht. Auch Lauterbach empfiehlt FFP2 für alle.

Da wahrscheinlich nie alle Teilnehmer/Kollegen/Mitschüler eine sehr gut passende FFP2-Maske (d.h. kein Spalt, kein Bart und eine Maske mit Gummibändern hinter dem Kopf, nicht hinter den Ohren!) tragen und/oder diese auch mal kurz absetzen, können wir den Bereich zwischen roter und schwarzer Linie als Risiko der Ansteckung ansehen, also 0% bis 10% für eine Schulwoche. Das geht aber schnell nach oben zur blaue Linie wenn Maskenpausen, Sport-ohne-Maske oder gemeinsames Essen stattfindet. Ab Inzidenz 500 aufwärts erscheint es mir da schon eher schwierig kompromisslos beim Präsenzunterricht bleiben zu wollen.

Für jüngere Kinder bleibt dabei das Schlüsselproblem: Er gibt kaum (oder keine?) FFP2-Masken, die Kindern passen (Stiftung Warentest fand nix gutes, einzig die 3M Aura 9320+ scheint noch am besten für Kinder zu passen – oder eben dann gut sitzende OP-Masken). Erst ab dem Teenager-Alter sind wirklich gut passende FFP2-Masken verfügbar (wir verwenden die Dräger X-plore 1720 C).

Gegenprobe: Mit dem COVID-19 Risikorechner für Aerosolübertragung des Max Planck Instituts habe ich drei verschiedene Szenarien durchgespielt (Klassenzimmer mit 25 Personen, alle ungeimpft, alle getestet, einmalig 8h):

  • Ohne Lüften und ohne Masken werden 4 Personen angesteckt wenn ein unentdeckter Infizierter im Raum ist, das persönliche Risiko jedes Teilnehmers liegt bei 16%
  • Mit stündlichem Stoßlüften ergeben sich 1,4 Ansteckungen, das individuelle Risiko liegt bei 6%.
  • Tragen alle OP Masken sinkt das individuelle Risiko auf 1%
  • Tragen alle FFP2 Maske sinkt das individuelle Risiko auf 0,2%.

OP-Masken senken das Risiko hier also um 90%, FFP2-Masken um >98%. Das sind also ähnliche Werte wie ich oben verwendet habe.

Mit Luftreiniger/Lüftungsanlage sinkt individuelles Risiko um ca. 30-60%. Und wenn ein Superspreader im Raum ist, d.h. ein Infizierter der 10 mal mehr Viren abgibt als andere Infizierte, steigen die Risiken alle dramatisch an. Ca. 10-20% der Infizierten sind Superspreader, wird geschätzt.

Wie ist es mit der Impfung?

Gemäß der Imperial Report 50 Studie sind 2x Geimpfte zu 10% geschützt, und kürzlich 3-fach Geimpfte zu 75% vor einer Ansteckung mit Omikron geschützt.

Ein zweifach Geimpfter hat fast das gleiche Risiko einer Ansteckung wie ein Ungeimpfter, um die 25-30%, ist aber zumindest gegen schwere Verläufe geschützt. Ein Booster-Shot senkt das Risiko auf 7%. Mit gut sitzender FFP2 Maske geht das Risiko des Geboosterten quasi gegen null (wenn alle im Raum ständig gut passende FFP2 Masken tragen, also ein sehr optimistischer Fall).

Wie schlimm ist eine Erkrankung, ist Omikron nicht “mild”?

Die Verteilung der Krankenhauspatienten scheint anders zu sein bei Omikron, weniger Intensivpatienten aber dafür mehr stationäre Patienten. Und insgesamt scheinen die Raten etwas niedriger zu sein. Aber weil mit Omikron die Wahrscheinlichkeit jetzt viel höher liegt, dass man angesteckt wird, steigt auch das persönliche Risiko jedes Einzelnen tatsächlich zu erkranken.

Quelle

COVID19 ist nicht einfach nur eine Atemwegserkrankung. Das was man in den ersten 1-3 Wochen durchmacht ist nur die “erste Welle”. Danach ist das Virus nicht weg, verbleibt z.T. überall im Körper, auch bei leichtem Verlauf. COVID19 ist eine systemische Erkrankung, die praktisch jedes Organ betreffen kann. Was das mit uns in einigen Jahren machen wird, weiß heute niemand.

Das Virus ist noch Monate nach der Erkrankung im Körper, inklusive des Gehirns: Es ist “neurotrop”: “Covid-19 kann im Hirn weit mehr anrichten, als nur verschwommenes Denken. Die Symptome reichen von Kopfschmerzen, Angstzuständen, Depressionen, Halluzinationen und lebhaften Träumen bis hin zu den bekannten Geruchs- und Geschmacksanomalien. Auch Schlaganfälle und Krampfanfälle stehen auf der Liste. Eine Studie ergab, dass es bei mehr als 80 Prozent der untersuchten Corona-Patienten zu neurologischen Komplikationen kam. (Quelle)

Selbst milder COVID-19-Verlauf hinterlässt Spuren an Organen:
Wissenschaftler:innen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf konnten nachweisen, dass auch milde bis moderate Krankheitsverläufe mit COVID-19 die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren mittelfristig beeinträchtigen
“. (Quelle)

Schon das was die Medizin als “milden Verlauf” beschreibt, will keiner haben:

Link zum Drosten Podcast

Wer es noch etwas klarer (und drastischer) lesen möchte, liest hier nach.

Wobei die Auswirkungen wohl durchaus altersabhängig sind, d.h. mit dem Alter schlimmer werden. Hier die Altersverteilung der Risiken für einen Krankenhausaufenthalt aus meinem Modell: Ab 50 Jahren steigen die Risiken deutlich an.

Was ist mit LongCovid?

Die Schutzwirkung der Impfungen vor Longcovid besteht hauptsächlich aus der Schutzimpfung vor Ansteckung/Erkrankung. Ansonsten haben Durchbruchsinfektionen fast die gleichen Risiken für einen schlechten LongCovid-Verlauf wie Ungeimpfte. Erst ein Omikron-angepasster Impfstoff wird uns wieder besser schützen, weil er uns besser vor Ansteckung schützen wird.

Eine breite Meta-Studie kam zu dem Ergebnis, dass ca. 30% der Corona-Positiven auch nach 6 Monaten noch Erschöpfungssymptome haben und ca. 22% nach 6 Monaten noch Denk/Gedächtnisprobleme. Bei Kindern jeweils ca. 10%.

30-40% konnten nicht in ihren vorherigen Job zurück. Man möge sich klar machen, was es damit bedeutet, wenn sich Millionen Menschen in einer großen Welle infizieren.

Wer noch weiteres zu LongCovid lesen will, dem sei dieser Thread empfohlen (auch keine einfache Lektüre).

Nachtrag

Das Google Sheet mit den Berechnungen/Grafiken gibt es hier zur Einsicht.

Danke

Danke an @AnnaLyst_, @icestormfr, @aloa5, @maewald, @KI_in_med und AP für ihr Feedback zum Entwurf dieses Artikels.

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG