Corona: Pandemie-Modellrechnung (V2.0) mit 7 Beispiel-Szenarien für 2021

Update 4.3.2021:
Es gibt ein Update auf V3 dieses Modells, bitte dort weiterlesen.

Vor ein paar Tagen habe ich hier ein Modell vorgestellt, mit dem ich versuche, den weiteren Verlauf der Pandemie bis Ende des Jahres zu berechnen. Mehrere Tausend Besucher haben sich meinen Blogeintrag inzwischen angeschaut und einige haben sehr hilfreiches Feedback abgegeben für die Verbesserung des Modells (u.a. auf Twitter) – danke dafür! Mit diesen Ergänzungen haben wir jetzt eine neue Version 2.0 des Modells (Download und Beschreibung am Ende der Seite), das wir jetzt mal anwenden wollen.

Das Ziel für den Einsatz meines Modells war es, die Wirkung verschiedenerer Veränderungen von Regelungen/Verhalten auf den weiteren Verlauf zu verstehen. Als Gesamtgesellschaft haben wir praktisch nur eine Möglichkeit auf den weiteren Verlauf einzuwirken: Indem wir durch Verhaltensveränderungen den R-Wert verändern. Verschärfungen senken den R-Wert, Lockerungen steigern ihn.

Also, dann schauen wir uns doch mal 7 Szenarien an. Ich stelle diese Berechnungen und meine Daten hier wieder zu Diskussion und freue mich über Feedback auf auf Twitter.

Sieben Szenarien für 2021

In diesem Artikel möchte ich dazu folgende aufeinander aufbauende Szenarien vorstellen:

  • Szenario 1: Wie würde 2021 verlaufen, wenn wir den Lockdown im Stil von Januar/Februar weiterführen würden?
    • Das ist quasi Version 2.0 meines Modells, die “Baseline”
  • Szenario 2: Wie wird sich Saisonalität auswirken?
    • Über die Sommermonate können wir damit rechnen, dass sich die Ansteckung um bis zu ~20% absenkt (Quelle). Dies habe ich als Sinuskurve ab Anfang Mai bis Ende September über die R-Werte gelegt.
  • Szenario 3: Was passiert, wenn wir Anfang März leichte Lockerungen durchführen?
    • Heute zum 1. März gibt es quer durch die Republik viele verschiedene Lockerungsmaßnahmen, was werden die auslösen im Vergleich zu Szenario 2? Ich erhöhe hierfür das 7-Tage-Wachstum um 10 Prozentpunkte (R steigt um ~0,05 => eigene Schätzung).
  • Szenario 4: Was passiert wenn wir am 7. März erhebliche Lockerungen durchführen?
    • Nächsten Mittwoch wird die Politik über weitere Lockerungen entscheiden. Was passiert wenn wir damit R um ~0,2 steigern (7-Tage-Wachstum steigt von 90% auf 130% für Wildtyp und für Mutationen von 150% auf 180%)?
  • Szenario 4a: Was passiert wenn wir Anfang April erhebliche Lockerungen durchführen?
    • Wäre es viel besser die Lockerungen vom März in den April zu verschieben?
  • Szenario 5: Durch 2021 mit Jojo-Lockdown?
    • Nachdem die Szenarien 3 und 4 gezeigt haben, dass Lockerungen Anfang März ein Explodieren der Fallzahlen erzeugen, werden sehr bald verschärfte Maßnahmen nötig werden, um die Zahlen wieder zu drücken. In Szenario 5 habe ich ausgehend von #3 Lockerungen/Verschärfungen so gesetzt, dass wir unter dem Doppelten der Spitze der 2. Welle bleiben würden bei der Intensiv-Belegung (ein Lockdown der RWild auf ~0,8 und RMutationen auf 1,1 absenkt).
  • Szenario 6: Ausgehend von Szenario 3, was würde doppelt so schnelles Impfen bringen (2. Dosis nach hinten verschieben)?
  • Szenario 7: Wenn wir nicht schneller impfen können, wie würde sich statt Jojo-Lockdowns eine massive Schnelltest-Strategie ab April auswirken, ausgehend von Szenario #3?
    • Analog zu der von Karl Lauterbach vorgeschlagenen Vorgehensweise, also anfangs wird jeder 1 pro Woche getestet, später zwei Mal, und nur wer ein aktuell negatives Testergebnis hat darf in Geschäfte, Schulen, usw.. Zitat: “könne man mit dieser Teststrategie nach Berechnungen des Harvard-Epidemiologen Michael Mina den R-Wert deutlich senken: »Mit einer Testung pro Woche um etwa 40 Prozent, mit zwei Testungen pro Woche sogar um über 55 Prozent.« “. Ich simuliere: Ab April sinkt R um 40%/4, am Mai um 55%/4, also 1/4 der Menschen wird regelmäßig getestet.

Ergebnisse der Simulationen

Hier sind die Eckewerte der Simulationen, weiter unten gibt es zu jedem Szenarien alle Graphen aus der Simulation:

SzenarioAnzahl Fälle (2020-2021)Sterbefälle nach KW 8Höchster Intensivbetten-
Bedarf
Höchste InzidenzAnzahl Long-Covid Patienten
#1: Lockdown wie Jan/Feb18 Mio46.00037.0001.6001,8 Mio
#2: mit Saisonalität10 Mio30.00013.0005001 Mio
#3: Lockerungen 1. März15 Mio52.00030.2001.2001,5 Mio
#4a: erhebliche Lockerungen 7.3.30 Mio155.000118.0004.5003 Mio
#4a: erhebliche Lockerungen erst am 5.4.28 Mio110.000102.6064.0002,8 Mio
#5: JoJo Lockdown12 Mio39.00013.9004931,2 Mio
#6: 2x schneller impfen11 Mio25.00020.0008441,1 Mio
#7: Schnelltests21 Mio96.00054.0002.1002 Mio

Diskussion der Ergebnisse

Wenn man sich die Zahlen anschaut liefert mein Modell (!) folgende Ergebnisse:

  • Die beste Variante wäre #2: Einfach den Lockdown von Januar und Februar weiter durchziehen bis Ende des Jahres, dann haben wir die wenigsten Todesopfer, einen doppelt so hohen Ansturm auf die Intensivbetten wie in der 2. Welle (Noch besser: Schneller impfen).
  • Die zweitbeste Variante ist #6: Wenn wir schon Lockerungen machen heute am 1.3., dann müssen wir wenigstens doppelt so schnell impfen. Die Zahl der Toten ist sogar unter #3, aber der Ansturm auf die Intensivstationen ist 3x so hoch wie in der 2. Welle.
  • Mit einem Jojo-Lockdown (#5), der im Mai von KW 18 bis KW 22 läuft und die Inzidenz immer schön unter 500 hält, fahren wir am dritt-besten: 39.000 Tote mehr, aber die Intensivstationen bleiben beim knapp 2-fachen der 2. Welle.
  • Mit den Schnelltests kommen wir auch nicht wirklich gut durch, die kommen im April zu spät.
  • Alle Varianten dagegen, die erhebliche Lockerungen versprechen (#4a und #4b), egal ob im März oder im April, erzeugen 110.000 bis 155.000 Tote und führen zu einem Kollaps der Intensivstationen (20x so viel Belastung wie in der 2. Welle).

Als Zusammenfassung würde ich sagen, dass wir tatsächlich keinen Raum für umfangreiche Lockerungen haben für den 7.3.2021. Und wenn wir die jetzt tun, handeln wir uns damit im Mai einen weiteren Lockdown ein (RWild=0,8, RMutation=1,1).

Die hohe Ansteckungsrate von B.1.1.7 gibt uns nur wenige Handlungsoptionen. Unser bester Ausweg ist: Impfen massiv beschleunigen, und Finger weg von Lockerungen (die verursachen nach meinem Modell >100.000 zusätzliche Opfer). Leider gibt uns mein Modell keine besseren Ergebnisse.

Szenario 1: Lockdown wie Jan/Feb

Die grauen Flächen in den Graphen sind ein Indikator wie weit in der Zukunft der Bereich liegt, denn je weiter wir in die Zukunft schauen, desto größer werden die Unsicherheiten.

Durch Anklicken kann man in die Grafiken reinzoomen.

Szenario 2: Lockdown wie Jan/Feb mit Saisonalität

Szenario 3: Lockerungen 1. März

Szenario 4a: erhebliche Lockerungen 7.3.

Szenario 4b: erhebliche Lockerungen erst am 5.4.

Szenario 5: JoJo Lockdown

Szenario 6: #3 und 2x schneller impfen

Szenario #7: Schnelltests

Anhang: Änderungen seit Version 1

Seit der Vorstellung von Version 1 am Wochenende habe ich folgendes geändert:

Ich habe die Quotenwerte für Sterbefälle und Intensiv-Stationen so angepasst (sozusagen “kalibriert”), dass mein Modell bis zur KW7 die offiziellen Werte von RKI bzw. DIVI nachfährt (schwarze Linien):

Außerdem habe ich Saisonalität (bis zu 20% Absenkung der R-Werte im Hochsommer) eingebaut, sodass die Formel jetzt so aussieht:

t: die Kalender-Woche
nAlter(t): Inzidenz (je 100k Einwohner) je Kalenderwoche für eine Altersgruppe
g7-Tage: Der 7-Tage Wachstum (0,8 für Wildtyp entspricht R=~0,9 und 1,4 für Mutationen entspricht R=~1,2)
iHerde: Herdenimmunität (ich verwende hier 80%)
qAlter(t): Die Impfquote für eine Altersgruppe in der betreffenden Kalenderwoche
kSaison: Saisonalität, Wert zwischen 100% und 80%, Sinuskurve von Ende April bis September
kMassnahmen: Absenkung der Ansteckung durch z.B. Schnelltests

Außerdem berücksichtige ich die heute bereits geimpften Pflegekräfte u.ä. (aktuell ca. 2,5% der 20-65 jährigen) und berechne die Intensivbetten-Belegung (Ansatz: Jeder Intensivzugang bleibt im Schnitt 2 Wochen (Quelle) auf Intensiv).

Nachtrag 3: Google Sheets Datei

Update 4.3.2021:
Es gibt ein Update auf V3 dieses Modells, bitte dort weiterlesen.

Meine Berechnungen sind hier als Google Sheet einsehbar:

https://docs.google.com/spreadsheets/d/1YbGHfD5BLkvNNJeCdnFULftIDRDpvC8nlbNtRtpz4SA/edit?usp=sharing

Feedback bitte an: https://twitter.com/dpaessler

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG

2 thoughts on “Corona: Pandemie-Modellrechnung (V2.0) mit 7 Beispiel-Szenarien für 2021”

  1. Danke! Das Google Sheet schaue ich mir gleich Mal an. Was ich vermisse wäre eine Modellrechnung bei der gerade jetzt die Maßnahmen signifikant verschärft werden.

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