Modellrechnung: Welche Folgen könnten aus der Omikron entstehen?

Es wurde die Frage an mich herangetragen, mit wie vielen Patienten, ITS-Betten oder Personalausfall man rechnen müsste im Januar. Alles was mehr als 2-3 Wochen in der Zukunft liegt bleibt natürlich immer “unscharf” bei meinen Modellierungen, aber jede Information ist besser als “keine Ahnung haben”, insbesondere wenn man als Entscheider für eine Firma, eine Klinik oder eine Stadt o.ä. planen muss.

Hier zeige ich 6 Szenarien mit Ausblick bis Ende Januar, die uns ein bisschen in die Zukunft sehen lassen (ausführlichere Infos zum Modell).

Annahmen für die Szenario-Technik

Wenn wir Glück haben, wächst Omikron in Deutschland “nur” mit 3 Tagen Verdopplungszeit (Quelle). Für die Szenariotechnik habe ich das als zentrale Annahme genommen und füge dem je ein besseres und ein schlechteres Szenario hinzu. Also habe ich für das Fallzahlen-Wachstum Verdopplungszeiten von 4, 3 und 2.5 Tagen modelliert und dies jeweils mit einem Szenario ohne Lockdown bzw. einem “Bürger-Lockdown” (d.h. die Bürger “stimmen mit den Füßen ab” und bleiben angesichts der eskalierenden Auswirkungen immer mehr zu Hause) und einem harten, staatlich koordinierten Lockdown (R-Wert Absenkung um -45%) am 27.12., 3.1. oder 10.1. kombiniert. Weiterhin gehe ich davon aus, dass eine Infektion mit Omikron eine ebenso hohe Wahrscheinlichkeit für Hospitalisierungen, ITS-Bedarf und Tod hat wie Delta, unter der Annahme, dass die Impfungen gegen diese schweren Verläufe gleich gut schützen bei beiden Varianten (Quelle 1, Quelle 2, Quelle 3).

Den Anteil an Omikron an den Infektionen in der KW 13.12. habe ich so “eingestellt”, dass sich für die KW 13.12.2021 die von Risklayer gemeldete Fallzahl entwickelt als Summe von fallendem Delta (aus meinem Modell) und wachsendem Omikron. Für Verdopplungszeit 2,5 Tage wäre der Omikron-Anteil um den 20.12.2021 ca. 6-7%, bei 3 Tagen ca. 20% und bei 4 Tagen ca. 25%.

Leider wissen wir für Deutschland weder die genaue Zahl der Omikron-Infektionen für die vergangene Woche noch deren Wachstumsgeschwindigkeit, weil wir dafür kein adäquates Surveillance-System aufgebaut haben. Und nach den Weihnachtstagen werden wir in allen Szenarien auch noch den Überblick über die Zahl der täglichen Infektionen verlieren, weil wir die Inzidenz ab ca. 500 aufwärts recht schnell nicht mehr messen können. Blindflug!

Die Hospitalisierungen und ITS-Belegung sind mit dem bewährten Berechnungsverfahren meines Modells berechnet. Die Abschätzung der Personalausfälle geht davon aus, dass zu den hospitalisierten Fällen (ca. 4%) nochmal 4 mal so viele erkrankte zu Hause bleiben für 2 Wochen (ca. 16%), 20% der Infektionen bleiben asymptomatisch und 60% sind symptomatisch – alle Fälle sind in Quarantäne. Außerdem nehme ich an, dass zusätzlich noch 10% der Infektionen der letzten 3 Monate mit Longcovid ausfallen.

Damit haben wir 6 Szenarien

  • 4 Tage Verdopplungszeit, kein koordinierter staatlicher Lockdown
  • 3 Tage Verdopplungszeit, kein koordinierter staatlicher Lockdown
  • 2,5 Tage Verdopplungszeit, kein koordinierter staatlicher Lockdown
  • 4 Tage Verdopplungszeit, staatlicher Lockdown 10.1.
  • 3 Tage Verdopplungszeit, staatlicher Lockdown 3.1. <= realistischstes Szenario?
  • 2,5 Tage Verdopplungszeit, staatlicher Lockdown 27.12.

Wie wir gleich sehen werden, sind die Szenarios ohne Lockdown allesamt praktisch unmöglich, das würde das ganze Land umhauen. Mein Modell ist für diese Extremszenarien auch nicht gut, aber wie wir sehen werden, sind die Lockdown-Szenarien, für die ich das Modell für plausibler halte als unsere Unsicherheiten bei den Eingabegrößen, auch schon…. schwierig.

Wenn die Verdopplungszeit im Bereich 3 Tage oder darunter liegt bekommen wir einen schwierigen Januar. Das Problem ist: Die orange Linie, das Szenario “3-Tage-Verdopplungszeit mit Lockdown” steigt im Januar immer noch weiter an. Der Lockdown in dieser Modellrechnung wäre nicht stark genug, da müßte man noch nachschärfen.

Dazu muss man aber auch sagen, dass die Unsicherheiten bei unseren Eingangsparametern so gross sind, dass das genauso auch sinken könnte, oder mein Lockdown ist ggf. noch zu lasch modelliert. Alles durchaus unsicher, ganz normal beim Modellieren. Aber die Tendenzen der beiden andere Szenarien zeigen wie es sonst noch laufen könnte.

Dass wir uns unbedingt wünschen sollten, dass sich bei uns keine Verdopplungszeit unter 3 Tagen einstellt, das zeigt die grüne durchgezogenen Linie, die in allen Grafiken nach oben abhaut.

Die blaue Linie, 4 Tage Verdopplungszeit, ist wahrscheinlich zu optimistisch.

Dimensionen des Personalausfalls ohne staatl. Lockdown

Für das mittlere Szenario, 3 Tage Verdopplungszeit mit Bürgerlockdown, habe ich die Berechnung mal bis März weiterlaufen lassen, und da findet man, dass es zu Personalausfällen im Bereich 10-12% kommen könnte. Wie funktioniert unser Land wohl, wenn 10-12% er Menschen krank/infiziert zu Hause sind? Dabei werden die “Essential workers” überproportional stark betroffen sein, weil alle, die es können, sowieso schon zu Hause bleiben werden, um sich zu schützen.

Natürlich ist das jetzt eine sehr spekulative, sehr weit in die Zukunft schauende Sicht, die uns aber zumindest ein Gefühl dafür gibt, in welchen Bereichen sich das abspielen könnte.

Fazit

Also, wie das ohne ein koordinierter Kampf unserer Gesellschaft gegen das schnelle Wachstum von Omikron gehen soll, das kann ich mir schwer vorstellen.

Die Holländer, Däne und Briten ergreifen bereits Maßnahmen, z.T. sogar drastische. Und wir in Deutschland machen erstmal… Weihnachten?

Dieser Satz ist fast 2 Jahre alt, ich habe ihn am 14.3.2020 in meinem Blog geschrieben, kurz vor dem erste Lockdown in Deutschland. Wir sind seit dem was unsere Planung, Strategie, und Ziele für die Pandemie angeht (und deren Kommunikation) noch nicht wirklich weitergekommen. Es wird immer noch im Feuerwehr-Modus gearbeitet, agiert wird nur wenn es GAR NICHT mehr anders geht. Jede Firma mit so einem Management wäre inzwischen mehrfach pleite gegangen.

Omikron macht uns klar: Ohne Niedrig-Inzidenz-Strategie, wöchentlich veröffentlichte Modellrechnungen von Regierungsstellen und viel bessere Pandemie-Surveillance werden wir auch bei den nächsten Welle mit der nächsten Mutation wieder genauso versagen.

PS: Die Zahlen kommen einem riesig vor, ja. Aber…

Aber wenn man sich andere Modelle anschaut, die spielen alle in der gleichen Liga:

  • In einem Worst-Case-Szenario sind in der Spitze bis zu 700.000 Neuinfektionen pro Tag leicht im Rahmen des Möglichen, wenn die Maßnahmen so bleiben wie jetzt.” sagt Mathematiker Kristan Schneider, Professor an der Fakultät für Angewandte Computer- und Biowissenschaften der Hochschule Mittweida im ZDF Artikel. Die 700.000 Infektionen/Tag entsprechend Inzidenz ~6.000. Dabei übernimmt Omikron in dieser Modellierung erst am 21.1. die Dominanz der Infektionen. Erst in einem Monat! Das scheint mir schon sehr über-optimistisch.
  • Die holländische Regierung zeigt eine Modellierung der Krankenhausbelegung bei verschiedenen, z.T. harten Lockdown-Varianten, die bis zum 6-fachen des bisherigen Peaks im November geht.
  • Aus England kommt eine Modellrechnung, die mit 35 Millionen Infektionen rechnet. Im mittleren Szenario mit Lockdown sind es bei mir auch ca. 25 Millionen. Dabei hat England 14 Mio Einwohner weniger und eine bessere Impf/Vorinfektions-Rate.
Quelle

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG