Update Modellrechnungen: 6 Szenarien für die nächsten 4-6 Wochen

Kurzfassung:

  • Modell zeigt im zentrale Szenario den Peak der Omikron-Welle um den 20.2.2022 bei Inzidenz ca. 2.800 (unmessbar).
  • Bis Ende Mai könnte es zu 15-22 Millionen Fällen kommen, mit Dunkelziffer (2x) könnte das halbe Land infiziert werden.
  • Im Modell würde Omikron-Welle in den Krankenhäusern nicht schlimmer zu werden als die Delta-Welle im November (aber Belastung durch Personalausfälle!).
  • Schließung der Schulen/Kitas für 6 Wochen hätte auf Krankenhausbelastung keine starke Auswirkung (senkt aber die Infektionszahlen bei den Kindern deutlich).
  • Erst eine Maßnahmen-Verschärfung für alle Altersgruppen für 4 Wochen würde Welle schnell zusammenbrechen lassen.
  • Lockerungen zum 20.3.2022 könnten zusätzlichen, noch höheren Wellenpeak für Kliniken auslösen (weil bis dahin der Inzidenzanteil bei den Älteren höher ist und deren Booster schwächer geworden ist).

Hinweis für Modellagnostiker: Mit meinem Pandemie-Modell versuche ich mir den Verlauf der Pandemie in Deutschland zu erklären und ich versuche zu verstehen, welche Verhaltensänderungen welche Folgen haben würden. Dabei dürft Ihr mir hier zuschauen. Welcome!

Was ich hier mache ist Mathematik, nicht Politik. Jeder geneigte Leser weiß, dass sich die folgenden Kurven nur für die nächsten 3-4 Wochen der sich tatsächlich entwickelnden Realität annähern können, danach geht es insbesondere um den qualitativen Vergleich verschiedener Verläufe untereinander.

1. Inzidenz/Fallzahlen

Zuerst müssen wir für unsere 6 Szenarien die Fallzahlenverläufe berechnen. Dafür habe ich im Modell folgende Szenarien aufgesetzt:

  • Szenario 1: Zentrales Szenario 6.2.2022: Dieses Modell schreibt den aktuellen Verlauf schlicht weiter, es wird keine Anpassung oder Maßnahmen-Änderung berechnet.
  • Szenario 2: Optimistischer: Hier modelliere ich einen etwas optimistischeren Verlauf (leicht abgesenkter Basis-R-Wert = Maß für unser Verhalten).
  • Szenario 3: Pessimistischer: Mit einem leicht erhöhten R-Wert schaue ich in diesem Szenario, wie ein für uns nachteiligerer Verlauf aussehen würde.
  • Szenario 4: Schulen/Kitas zu für 6 Wochen ab 7.2.2022: Was würde sich ändern, wenn es keine Präsenz mehr gäbe in Schulen und Kitas? Für 6 Wochen setzte ich die R-Werte der Altersgruppen unter 20 Jahren um 40% herab um einen kompletten Distanz-Unterricht bzw. Schließung der Einrichtungen zu modellieren.
  • Szenario 5: Verschärfungen & Schulen zu für 4 Wochen ab 7.2.2022: Was brächten Verschärfungen für alle Altersgruppen? Für 4 Wochen modelliere ich hier einen um 20% gesenkten R-Wert für alle und zusätzlich 30% gesenkten R-Wert für U20.
  • Szenario 6: Lockerungen ab 20.3.2022: Einige Politiker bringen bereits jetzt Lockerungen nach dem Durchgang des Wellen-Peaks ins Gespräch. Was hätten diese für Folgen, das schauen wir uns in diesem Szenario an, in dem ich am 20.3.2022 den Basis-R-Wert um 20% heraufsetze.

Ich mache hier explizit keine Aussagen über die politische Durchsetzbarkeit oder gesellschaftliche Sinnhaftigkeit der verschiedenen Wege. Wie gesagt, ich betrachte Modelloptionen und mache hier Mathematik, keine Politik.

Dabei ergibt sich folgender Inzidenzverlauf (den wir mit dem überlasteten Meldesystem so nicht “sehen” werden):

Im zentralen Szenario erreichen wir den Peak bei Inzidenz 2.800 um den 20.2.2022. Das optimistischere Szenario liegt bei ca. 2.000 Peak während das pessimistischere Szenario von Peak 3.500 ausgeht.

Das Szenario mit 6 Wochen Schulschliessungen senkt den Inzidenzverlauf “nur” um etwa die Hälfte (vermeidet dabei aber ca. 2-3 Millionen Ansteckungen bei den U20). Die Maßnahmen-Verschärfungsvariante (4 Wochen) senkt dagegen doch sehr deutlich die Fallzahlen und läuft dann nochmal in eine Rebound-Welle.

Wenn wir am 20.3.2022 Lockerungen machen würden, würde sich ein weiterer Wellenberg ergeben, der bei der Inzidenz noch nicht so dramatisch aussieht, aber weil sich bis zum März die Welle in die älteren Jahrgänge gefressen hat und Booster schwächer werden (siehe Alters-Inzidenz-Grafik ganz unten), hat das in den Kliniken deutlichere Auswirkungen, wie wir gleich noch sehen werden. Außerdem verlängert man damit die Welle schlicht und einfach um 4-5 Wochen – ist es das was die Lockerer wollen?

Was man noch dazu sagen muss: Um den Frühlingspunkt 21.3.2022 ist es für Modelle besonders schwer R-Wert und Saisonalität zu bestimmen (das haben wir auch im März und September 2021 bei vielen Modellen gesehen, auch bei meinem), das könnte also auch noch nach oben oder nach unten abhauen, keiner kann das jetzt sagen. In so einer hohen Unsicherheit dann aber noch Lockerungen mit reinzulegen ist m.E. keine kluge Idee und entbehrt jeder mathematischen Grundlage.

Wenn man die Fallzahlen nach Virus-Variante aufschlüsselt sieht man, dass erst die Omikron-Variante BA.1 eine Wellenspitze hat und dann kurz danach BA.2. Beide Wellen überlagern sich:

Kurzer Exkurs: Um mal zu zeigen wie relevant/verlässlich solche Modellrechnungen sein können: Hier der Vergleich meines Modells vom 17.12.2021 (6 Wochen her, Omikronwelle in grau, Originalgrafik vom Dezember rechts) mit dem Verlauf, der sich dann tatsächlich ergeben hat (schwarz, in der unteren Grafik) und dem weiteren Modellverlauf. Die Berechnung vom 18.12. hat den Peak ca. 3 Wochen zu früh und ca. 20% zu hoch eingeschätzt — Angesichts der damaligen Unsicherheiten ist das wohl ein Volltreffer. Der qualitative Verlauf wurde gut getroffen. Das klappt natürlich nicht immer so gut…

COVID-Hospitalisierungen

Im Moment sieht es so aus, als würden im zentralen Szenario (gelbe Linie) die COVID-Hospitalisierungen im März in etwa so weit hochgehen wie im November.

Wir sehen, dass die Schulschliessungen bei den Hospitalisierungen nicht so viel bringen (weil die dann weniger infizierten Kinder kaum ins Krankenhaus müssen). Nur allgemeine Verschärfungen würden deutlich etwas bringen und auch die Hospitalisierungen der Alten senken.

Dass Lockerungen zu früh nach dem Wellenpeak in dieser Welle gar keine gute Idee sein könnte sieht man an der rot gepunkteten Linie: Es ergäbe sich im April ein zusätzlicher Wellenpeak, der deutlich höher ist als als im März (mit den o.g. Einschränkungen dieser Aussage, wg. Frühlingspunkt).

Anzumerken ist, dass mein Modell von einem unendlich belastbarem Kliniksystem ausgeht, das aber unter Last weniger Patienten aufnimmt, als bei konstant optimaler Versorgung zu erwarten gewesen wäre. Daher liegt mein Modell in der November-Welle zu hoch und das wird im März wieder so sein (für die ITS-Belegung gilt analog das Gleiche). Die Folge ist dann in der Realität eine höhere Anzahl Verstorbener im Vergleich zu meinem Modell, weil der Einzelne im Schnitt nur weniger gut versorgt werden konnte.

Die folgende Grafik zeigt verschiedene Quoten für “Omikron macht intrinsisch x% so krank wie Delta” im Vergleich zu den aktuellsten Hospitalisierungsdaten des RKI und von DGINA. Mein Modell verwendet zur Zeit -75%, also die blaue Linie. Erst in 1-2 Wochen werden wir Quote mit höherer Sicherheit beurteilen können.

COVID-ITS-Belegung

Mit Omikron scheint die Welle in den Intensivstationen im März niedriger auszufallen als im November. Auch hier bringen “nur Schulschliessungen” nicht so viel wie Einschränkungen für alle.

Zu frühe Lockerungen erzeugen auch in den Intensivstationen eine hohe Extra-Welle (rot gepunktete Linie).

Bemerkenswert ist dabei, dass die COVID-ITS-Neuaufnahmen nur um etwa 60% sinken…

… während die ITS-Belegung um ca. 80% sinkt in der Modellrechnungen. Also: Omikron-Fälle bleiben halb so lang auf Intensiv (im Vergleich zu Delta), berechnet das Modell.

Annahme: Omikron macht 20% weniger krank als Delta

Ob die Absenkungen der Quoten sich tatsächlich so ergeben wird, werden wir erst in 2-3 Wochen mit guter Sicherheit beurteilen können – bis dahin bleibt es bei der jetzigen Strategie eine mutige Wette, dass die Intensivstationen nicht doch noch überlaufen. Wenn wir das dann sicher wissen, wird es zu spät sein um Gegenzulenken, aber das hatten wir ja schon ein paar Mal.

Personalausfall

Im zentralen Szenario fallen ab Mitte Februar bis Ende März für ca. 6 Wochen ständig ca. 4-5 Mio Menschen aller Altersstufen aus in Deutschland, das sind 5-6%. Das sind natürlich viele U20 und die reißen dann auch noch ihre Eltern mit.

Vergleich der Szenarien

Wenn man die Szenarien anhand der Gesamtzahl der Fälle vergleicht sieht man, dass es mit Lockerungen fast 40% mehr Fälle gibt als wenn wir einfach ohne Änderungen weitermachen. Bitte bedenken: 18 Millionen “Fälle” im zentralen Szenario sind bereits 36 Millionen “Infektionen” (Dunkelziffer Faktor 2x), da wird also schon fast das halbe Land infiziert. Toller Plan.

Das sind “Fälle”, bitte an Dunkelziffer Faktor 2x denken, um die tatsächliche Anzahl der Infektionen zu berechnen.

Warum zu frühe Lockerungen eine zusätzliche hohe Krankenhaus-Welle erzeugen könnten

Für das zentrale Szenario (einfach weitermachen, nichts ändern) und für die Lockerungen ab 20.3. kommt hier mal der Verlauf der Inzidenzen in den Altersgruppen: Gut zu sehen ist, wie sich die Inzidenzen aus den jungen Altersklassen immer weiter nach oben “durchfressen” und dann im Lockerungen-Szenario zum genau richtigen Zeitpunkt ge-supercharged werden – die vielen alten Menschen mit hohem Risiko schwer zu erkranken (und mit einem inzwischen deutlich nachlassenden Boosterwirkung) erzeugen dann eine neue Welle im Krankenhaus.

Es ist nicht das Ziel dieser Modellrechnung, die wöchentlichen Inzidenzen korrekt zu berechnen. Zum Einen ist das praktisch unmöglich und zum Anderen gibt es keine brauchbaren Inzidenzzahlen zum Vergleichen, weil das Test/Melde-System überlastet ist.

Zweck dieser Grafik ist zu visualisieren, was es bedeutet wenn man kurz nach dem Bruch der Welle, also wenn der R-Wert gerade erst durch eins gegangen ist, schon wieder lockert, damit den R-Wert über 1 schiebt, UND zu diesem Zeitpunkt bereits einen höherer Anteil der Infektionen in den alten Jahrgängen stattfindet.

Anhang: Informationen zum Modell

  • Alle Berechnungen wurden mit Version 37 meines Modells erstellt.
  • Modell modelliert Delta, BA.1 und BA.2 als unabhängige VOCs, ausgerichtet an den RKI Daten aufbereitet von C. Römer und Lena Schimmel:
  • Eine Beschreibung einer älteren Version des Modells gibt es hier, das muss ich mal aktualisieren. Auch dieser Artikel enthält noch Infos zum Modell.
  • Dass sich die Case-Fatality-Rates deutlich erhöhen bei Überlastung des Gesundheits-Systems wird nicht berücksichtigt.
  • Ausgang der Welle wurde nicht modelliert, R Wert bleibt unten bis Frühjahr

Weitere Grafiken aus dem Modell (zentrales Szenario, o.g. Krankenhaus-Quoten):

Hospitalisierungen nach Alter:

Das Modell macht die Patienten auf ITS etwas zu jung:

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG