Update Modellrechnung: Wie könnte unsere EXIT-Welle nach dem 20.3.2022 aussehen?

Fangen wir an mit einem kleinen Rückblick. Bis Ende letzter Woche lagen meine Modellrechnungen von vor 3 Wochen noch echt gut. Aber seit dem Wochenende geht es aufwärts, und zwar mit Schwung. Die Wirkung der Lockerungen vom letzter Woche hatte ich also beim Modellieren unterschätzt, ich war zu optimistisch.

In dieser Woche steuern wir auf eine um 20% höhere Fallzahl zu als in der Kalenderwoche davor. Damit liegen wir jetzt oberhalb des pessimistischen Szenarios vom 19.2.2022 (aber immerhin noch im Unsicherheitsbereich, graue Fläche). Das pessimistische Szenario war nicht pessimistisch genug.

Es kam also zu einer stärkeren Veränderung des Verhaltens als sogar pessimistischer weise angenommen. Ich nehme an, dass das viele Reden über einen Freedom-Day am 20.3. und die ersten Lockerungen für viele Menschen ein Signal war, dass man nicht mehr so aufpassen muss.

Wie geht es weiter?

Zunächst kurz der Hinweis, dass die Hinweise auf die vorhandenen Unsicherheiten aus dem letzten Modell-Blogpost immer noch weiter gelten.

Was die Wirkung der Lockerungen angeht ist das in dieser Woche sogar noch schwieriger als vor 2 Wochen: am 16.3. wird im Bundestag über die nächste Phase des IFSG entschieden und so richtig wissen wir noch nicht, was da morgen herauskommt, es ist auf jeden Fall das Potential da, die Pandemie nochmal richtig anzufeuern. Auch ist unklar was dann die Bundesländer mit dem neuen Regelwerk tatsächlich umsetzen ab 20.3.2022.

Also werde ich hier 4+1 Szenarien zeigen, die versuchen einen sehr breiten Spread von Möglichkeiten/Unsicherheiten abzudecken.

Berechnungen für 3+1 Szenarien

Im Modell habe ich 4 Szenarien mit Lockerungen durchgerechnet und ein Szenario, bei dem ich den R-Wert von dieser Woche festgehalten habe:

  • Keine Lockerungen: Um die Auswirkungen der Lockerungen zu zeigen habe ich auch ein Szenario berechnet, in dem es zu keinen weiteren Lockerungen (und auch zu keinen Verhaltensänderungen) kommt, indem ich einfach den R-Wert von dieser Woche festhalte.
  • Zentrales Szenario: Der aus meiner Sicht wahrscheinlichste Fall
  • Pessimistisches Szenario: Lockerungen zum 20.3. haben stark steigernde Wirkung auf den R-Wert.
  • Optimistisches Szenario: Die Lockerungen zum 20.3. bleiben sehr überschaubar.
  • 21.3. auf 4.4. verschieben: Wie würde es aussehen, wenn wir vom zentralen Szenario ausgehend die umfassenden Lockerungen vom 21.3. auf den 4.4. verschieben?

Das sieht dann so aus:

Im zentralen Szenario erreicht die Inzidenz nach dem 20.3. für kurze Zeit ca. 2.900, in den Intensivstationen gibt es eine Welle wie im November und auf die Normalstationen kommt eine Verdreifachung der stationären Aufnahmen zu im Vergleich zu den letzten Wochen. Etwa doppelt so viele Menschen wie in den letzten Wochen sind gleichzeitig erkrankt.

Im optimistischen Szenario steigt die Inzidenz nur knapp über 2.000, die Welle auf ITS ist kleiner als im November und die COVID-Hospitalisierungen gehen “nur” auf das Doppelte der vergangenen Wochen.

Das pessimistische Szenario gleicht einer Katastrophe: Inzidenz deutlich über 3.000, 7.500 ITS-Betten belegt, 50.000 Hospitalisierungen pro Woche und 1/10 der Menschen in Deutschland gleichzeitig krank.

Wir sind da an einem ganz empfindlichen Punkt um den 20.3.2022, das kann man gar nicht deutlich genug sagen. Aufgrund dieser massiven Unsicherheiten ist aktuell kaum ein ungeeigneterer Termin denkbar, was am 20.3. passieren wird mit Lockerungen in einen Anstieg hinein – egal wie stark – entzieht sich fast schon der Berechenbarkeit. Wie oft wollen wir diesen Fehler denn noch machen bitte?

Wenn wir aber alle weiteren Lockerungen um NUR 2 WOCHEN nach hinten schieben vom 21.3. auf den 4.4. dann blieben wir sogar unter dem optimistischen Szenario.

Ist es vernünftig nach so vielen Wochen der Einschränkungen jetzt nicht noch diese 2-3 Wochen zu warten? Das ist übrigens das gleiche Ergebnis wie bei meinen Modellrechungen am 19.2.2020, wir wissen das also schon länger. Der 20.3.2022 ist einfach nicht der richtige Tag dafür. Punkt.

Von wegen mild. Wenn viele Ältere infiziert werden, gibt es trotzdem Probleme

Jetzt sind wir doch mit 1500-2000er-Inzidenzen durch den Jan/Feb gekommen und es war nicht so wild in den Krankenhäusern: warum haut das jetzt so rein?

Weil sich die Altersstruktur ändert. Weil Ende März die Welle in den Älteren, Ü50, angekommen ist, hier rosa markiert (Daten des zentralen Szenarios, Datumsangabe ist KW-Beginn).

Auch wenn Omikron nicht mehr so krank macht: wenn es 2000+ Inzidenzen in den älteren Jahrgängen gibt, dann sind die Krankenhäuser eben doch voll. Weil: Mathe.

Ich kann nur hoffen, dass mein Modell mit diesem Ausmaß an Fällen in den Ü50 nicht Recht hat. Wer eine Modellrechnung hat, die besser aussieht: Die würde ich gerne sehen.

Der Vollständigkeit halber zeige ich hier noch die Anzahl der Verstorbenen, auch wenn die noch mit viel Vorsicht zu genießen ist, es fehlen noch Daten um das gut zu kalibrieren: Je nach Szenario wären im April über 500 Tote pro Tag möglich. Ich hoffe sehr, dass das nicht stimmt.

Für weitere Infos zum Modell verweise auch auf den Artikel vom 19.2.2022.

Author: Dirk Paessler

CEO Carbon Drawdown Initiative -- VP Negative Emissions Platform -- Founder and Chairman Paessler AG